Mit dem Namen ALLAHs, des Barmherzigen, des Allerbarmers, bismi ʾllāhi ʾr-raḥmāni ʾr-raḥīm

Kategorie: Islam und Psychologie

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 10

    Spirituelle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie

    Die psychologische Tradition des Islams gibt seinen Anhängern verschiedene Bewältigungsmechanismen für alltäglichen Stress und Anforderungen zur Hand, um Angst und andere negative mentale Zustände zu verringern. Einige dieser Mechanismen manifestieren sich in der Gebetswaschung, dem rituellen Gebet, der Rezitation des Qur’ans, dem Gedenken Gottes oder auch dem Fasten (Awaad, 2018). So lesen wir:

     

    O ihr, die ihr glaubt, sucht Hilfe in der Geduld und im Gebet; wahrlich Allah ist mit den Geduldigen. (Qur’an, 2:153)

    Es sind jene, die glauben und deren Herzen Trost finden im Gedenken an Allah. Wahrlich, im Gedenken Allahs werden die Herzen ruhig. (Qur’an, 13:28)

     

    Husain (1998) diskutiert die spirituellen, psychologischen, physischen und moralischen Rollen des islamischen rituellen Gebets (in: Awaad, 2018). So beschreibt er, dass die Konzentration während des Gebets den Geist von der Wahrnehmung von Schmerz ablenkt. Im Einklang damit haben verschiedene empirische Studien zu unterschiedlichen Religionen festgestellt, dass Menschen, die religiös sind – ausgeschlossen der Extremisten – dazu tendieren, bessere physische und mentale Gesundheit genießen (Meador & Koenig, 2000). Weitere Ergebnisse legen eine heilsame Beziehung zwischen religiöser Involvierung und dem Gesundheitsstatus nahe (Levin & Chatters, 1998).

    Zusammen mit Abū Zaid al-Balchī gehört Abū Hāmid Muhammad ibn Muhammad al-Ghazālī (lat. Algazel) zu den meist rezipierten muslimischen Gelehrten in der psychologischen Literatur (Abu-Raiya, 2012; Ali, A.H., 1995; Alter, 1928; Keshavarzi & Haque, 2013; Skinner, 1989, 2010). Er wurde im Norden des heutigen Iran geboren und ist vor allem für sein ihya‘ `ulum al-din (Die Erneuerung der religiösen Wissenschaften) berühmt geworden (Khalili, 2008). Darüber hinaus setzen sich muslimische Psychologen auch mit seinen Ma’arij al-Quds fi Madarij Ma’rifat al-Nafs und Kimya’s al-Sa’ada auseinander. Al-Ghazali soll eine der grundlegendsten und systematischsten Analysen der für die Psychologie relevanten Begriffe im Qur’an, wie z.B. ʿaql (arab. Verstand bzw. Kognition) oder rūḥ erarbeitet haben (Al-Daghistani, 2014; Düzünger & Şentepe, 2015). In der psychologischen Literatur werden ihm ein Persönlichkeitskonzept und die Grundlegung einer spirituellen Psychologie zugeschrieben: Sein Konzept, welches oft als Persönlichkeitskonzept (Abu-Raiya, 2012), Modell des Selbst (Skinner, 1989, 2010; Vahab, 1996) bzw. Modell seelischer Zusammenhänge (Keshavarzi & Haque, 2013) propagiert wird, gilt als bedeutendster Beitrag eines muslimischen Gelehrten zum Verständnis der menschlichen Natur. Quasem (1981) ist der Meinung, dass Al-Ghazali im Vergleich mit anderen Gelehrten psychologische Gegenstandsbereiche am weitläufigsten einbezogen hat. Bakhtiar (2002) beschreibt die traditionelle/spirituelle Psychologie Al-Ghazalis dahingehend, dass diese auf die Selbstentwicklung ausgerichtet ist und sich vor allem mit affektiven, kognitiven und behavioralen Inhalten beschäftigt. Er soll sich mit Emotionen, Motivation, lerntheoretischen Prinzipien und den Wahrnehmungsleistungen auseinandergesetzt haben (Vahab, 1996; Khalili et al., 2002). Alter (1928) und liefert außerdem eine psychologische Beschreibung des Konzepts der Ekstase und des Dhikrs,.

     

    Referenzen

    Abu-Raiya, H. (2012). Towards a systematic Qura’nic theory of personality. Mental Health, Religion & Culture15(3), 217-233. doi:10.1080/13674676.2011.640622

    Al-Daghistani, R. (2014). Al-Ghazzali und die transzendentale Anthropologie. In M. Karimi & M. Khorchide (Eds.), Jahrbuch für islamische Theologie und Religionspädagogik Band 3: Muslimische Gelehrte neu gelesen (pp. 135-171). Freiburg: Kalam Verlag.

    Ali, A. H. (1995). The Nature of Human Disposition: al-Ghazali’s Contribution to an Islamic Concept of Personality. Intellectual Discourse3(1), 51-64.

    Alter, S. N. (1928). Studies in the Psychology of Islam (Doctoral dissertation). Retrieved from Kennedy School of Missions at the Hartford Seminary Foundation.

    Awaad, R. (2018, October). Historical Perspectives and Modern Clinical Implications for the development of Islamic Psychology. Paper presented at the conference of the International Association of Islamic Psychology, Istanbul, Turkey.

    Bakhtiar, L. (2002). Al-Ghazzali: His psychology of the greater struggle. Chicago, IL: ABC International Group.

    Düzgüner, S., & Şentepe, A. (2015). Characteristic Themes in Psychology of Religion in Turkey: Muslim Thinkers’ Views on Human Psychology and Psychology of Sufism. In Z. Ağilkaya-Şahin, H. Streib, A. Ayten, & R. W. Hood (Eds.), Psychology of Religion in Turkey (pp. 31-50). Leiden, Niederlande: Brill.

    Keshavarzi, H. & Haque, A. (2013). Outlining a Psychotherapy Model for Enhancing Muslim Mental Health Within an Islamic Context. International Journal for the Psychology of Religion, 23(3), 230-249. doi:10.1080/10508619.2012.712000

    Khalili, S., Murken, S., Reich, K. H., Shah, A. A., & Vahabzadeh, A. (2002). Religion and Mental Health in Cultural Perspective: Observations and Reflections After The First International Congress on Religion and Mental Health, Tehran, 16–19 April 2001. The International Journal for the Psychology of Religion, 12(4), 217–237.

    Khalili, S. (2008). Psychologie, Psychotherapie und Islam – Erste Entstehungsphasen einer Theorie aus islamischer Psychologie. VDM Verlag.

    Levin, J. S., & Chatters, L. M. (1998). Research on religion and mental health. Handbook of Religion and Mental Health, 33-50. doi:10.1016/b978-012417645-4/50070-5
    Meador, K. G., & Koenig, H. G. (2000). Spirituality and Religion in Psychiatric Practice: Parameters and Implications. Psychiatric Annals30(8), 549-555. doi:10.3928/0048-5713-20000801-10

    Quasem, M. A. (1981). Psychology in Islamic ethics. The Muslim World71(3-4), 213-227.

    Skinner, R. (1989, Juli). Traditions, paradigms and basic concepts in Islamic psychology. Paper vorgestellt auf Theory and Practice of Islamic Psychology, London.

    Skinner, R. (2010). An Islamic approach to psychology and mental health. Mental Health, Religion & Culture, 13(6), 547-551. doi:10.1080/13674676.2010.488441

    Vahab, A. A. (1996). Section I: An Introduction to Islamic Psychology. In An Introduction to Islamic Psychology. New Delhi: Institute of Objective Studies.

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 9

    Seelenlehre, Wahrnehmung, psychiatrische Diagnostik und Behandlungsmethoden

    Die sogenannte Blütezeit des Islams, welches sich laut einiger Autoren von 622 bis 1492 n.Chr. erstreckte, erfuhr eine Expansion wissenschaftlicher Erkenntnis (Mohmammad et al., 2018). Das islamische Reich erstreckte sich dabei von Nordafrika und Spanien bis nach Zentralasien. Das Interesse der muslimischen Gelehrten Glaube und Verstand durch eigenständige Urteilsbemühung – Idschtihād – zu kombinieren, eröffnete viele Bereiche der wissenschaftlichen Untersuchung (Mohammad et al., 2018). Schulen waren mit Moscheen verbunden und die Bildung in Medizin, Pharmakologie, Botanik, Geologie, Geographie, Soziologie, Chemie, Physik, Mathematik, Astronomie, Literatur und Philosohophie wurde institutionalisiert. Die Großstädte des islamischen Reichs fungierten als internationale Zentren der Kultur und Bildung und nahmen eine Schlüsselrolle in der Verbreitung der Wissenschaften und der Weiterentwicklung der Zivilisation ein. Muslime, Christen und Juden aus allen Bereichen der Welt strömten zu diesen Zentren mit gleichem Recht an der Zivilisation und der Wissenschaft. Arabisch war die offizielle Sprache der Wissenschaft für fünf Jahrhunderte – mit vielen nicht-arabischstämmigen Wissenschaftlern, die entscheidend zum Wissensfortschritt beigetragen haben (Khaleel, 2003; Mohammad et al., 2018).

    Abū Alī al-Husain ibn Abd Allāh ibn Sīnā wurde im Süden des heutigen Usbekistan geboren. Er ist insbesondere für sein Werk al-Qānūn fī ṭ-Ṭibb (lat. Canon medicinae) bekannt, ein medizinisches Standardwerk, das über Jahrhunderte in Europa unterrichtet wurde und welches ein Kapitel zu neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen enthält (Payk, 2005). Weitere psychologisch relevante Schriften sind al-Shifa‘ und dessen verkürzte Version Kitāb al-Najāt (Attar, 2014; Rahman, 1952). Darüber hinaus findet sich von ihm eine Abhandlung über die Seele (Übersetzung bei: Bakhtiar, 2013). Er beschäftigte sich mit der Wahrnehmung, lerntheoretischen Prinzipien (insbesondere der Konditionierung) und sensorischen Fähigkeiten, neuropsychiatrischen Phänomenen, der Psychophysiologie und Psychosomatik (Haque, 2004; Husain, 2017; Ibrahim, 2012; Khalili et al., 2002; Vahab, 1996). Syed (2002) beschreibt spezifischer, dass Ibn Sina sich intensiv mit den physiologischen Grundlagen affektiver Störungen auseinandersetzte. Baibai (1999) liefert eine umfangreiche Beschreibungen der Hauptklassen der Seelenkräfte Ibn Sinas, seine Vorstellungen über die Krankheitsursachen unter spezifischer Berücksichtigung der Erkrankungen des Geistes und psychiatrischer Krankheitsbilder und eine Beschreibung der diagnostischen Verfahren Ibn Sinas.

     

    Referenzen

    Attar, M. F. (2014). Faḫr al-Dīn al-Rāzī on the Human Soul: A Study of the Psychology Section of al-Mabāḥiṯ al-mašriqiyya fī ʿilm al-ilāhiyyāt wa-l-ṭabīʿiyyāt (Doctoral dissertation, McGill University, Montreal, Kanada). Geladen von: http://digitool.library.mcgill.ca/webclient/StreamGate?folder_id=0&dvs=1508178326200~439

    Bakhtiar, L. (2013). Avicenna – on the science of the soul. Chicago, IL: Great Books of the Islamic World.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hdyerabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Ibrahim, A. A. (2012). Saudi Arabia. In D. B. Baker (Ed.), The Oxford Handbook of the History of Psychology: Global Perspectives (pp. 1-20). New York: Oxford University Press.

    Khaleel, K. (2003). Science in the name of God: How men of God originated the sciences. Buffalo Grove, IL: Knowledge House.

    Khalili, S., Murken, S., Reich, K. H., Shah, A. A., & Vahabzadeh, A. (2002). Religion and Mental Health in Cultural Perspective: Observations and Reflections After The First International Congress on Religion and Mental Health, Tehran, 16–19 April 2001. The International Journal for the Psychology of Religion, 12(4), 217–237.

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry, in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

    Payk, T. (2005). Psychiatrie im frühen Islam. In H. J. Assion (Ed.), Migration und seelische Gesundheit (pp. 21-28). Heidelberg, Deutschland: Springer, 21-28.

    Rahman, F. (1952). Avicenna’s Psychology. London: Oxford University Press.

    Syed, I. B. (2002). Islamic Medicine: 1000 years ahead of its time. Journal of Islamic Medical Association2, 2-9.

    Vahab, A. A. (1996). Section I: An Introduction to Islamic Psychology. In An Introduction to Islamic Psychology. New Delhi: Institute of Objective Studies.

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 8

    Moralphilosophie und Seele, Anlage-Umwelt-Diskussion

    Mohammad und Kollegen (2018) legen dar, dass die Bewahrung der griechischen Medizintradition während des 9. und 19. Jahrhundert griechisch-philosophische Ideen in vielen Bereichen beförderte, wodurch auch muslimische Gelehrte griechisches Wissen in ihre medizinischen Schriften integrierten. So wurden die Lehren des berühmten griechischen Arztes Galen, die die physiologischen Gründe für Krankheiten und ihre physischen Behandlungen betonten, in das islamische Curriculum aufgenommen worden. In klarem Unterschied zur griechischen Tradition, die durch Beobachtung und Theoretisierung gekennzeichnet ist, überprüften die Muslime jedoch die antiken Theorien mit ihren eigenen Vorstellungen und Ideen und, so argumentieren Mohammad und Kollegen (2018) weiter, hätten sie erstmals die wissenschaftliche Methode des Experiments in ihrer Theoriebildung zugrunde gelegt (Briffault, 1938). Im neunten Jahrhundert, als die Zusammentragung und Authentifizierung des Ahadith in Baghdad kulminierte, näherten sich muslimische Gelehrte der Medizin durch die Berücksichtigung des griechisch-philosophischen und wissenschaftlichen Gedankenguts und kombinierten dieses mit dem theologischen Prinzip, dass Gott der letztendliche Schaffende aller Dinge ist. Dadurch wurde die islamische Interpretation der göttliche Begründung von Ursache und Wirkung übernommen und die Methoden der Forschung und medizinischen Intervention auf solche beschränkt, die physikalischen Prinzipien und dem islamischen Recht nicht widersprechen (Dols & Immisch, 1992).

    Abū ʿAlī Aḥmad ibn Muḥammad ibn Yaʿqūb ibn Miskawayh lebte im Gebiet des heutigen Iran. Er befasste sich in seinem Kitāb Tahdhīb al-akhlāq (Reinheit der Dispositionen bzw. Kultivierung der Sitten) und Al-Fawz al-Asghar (Der kleinere Sieg) mit einem System der Ethik und Moralphilosophie, stellte eine enge Verbindung zwischen Fragestellungen der Moral, Seele und dem psychologischen Wohlbefinden her und beschrieb dabei die Natur der Seele in ihrer Orientierung zum Guten (Husain, 2017). Er soll sich auch zur den Konzepten der Selbstverstärkung und Response-Cost-System (Haque, 2004) und zur psychospirituellen Behandlung von Angst und Depression geäußert haben (Mohammed et al., 2018). Wie später auch Al-Ghazali, führte Ibn Miskawayah eine Anlage-Umwelt-Diskussion (Mohammad et al., 2018).

    Referenzen

    Briffault, R. (1938). The Making of Humanity. London: George Allen & Unwin Ltd.

    Dols, M. W., & Immisch, D. E. (1992). Majnūn: The madman in medieval Islamic society. Oxford: Clarendon Press.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hyderabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry, in H. S. Moffic,, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 7

    Psychosomatik, Medizinethik, therapeutische Beziehung

    Frühe muslimische Gelehrte haben in ihren medizinischen Schriften traditionell mit den Krankheiten des Kopfes – und somit auch des Geistes – begonnen und sich dann langsam entlang des Körpers bis zu den Füßen durchgearbeitet (Awaad, 2018). Manche Autoren argumentieren, dass diese Diskussion mentaler und physischer Gesundheit explizit durch islamische Quelltexte motiviert ist (Mohammad et al., 2018): So hält ein prophetischer Ausspruch alle Menschen dazu an, für jedwede Krankheit eine Heilung zu finden. Denn für jede Krankheit, die Gott geschaffen hat, ist auch eine entsprechende Heilung geschaffen worden (Al-Bukhari, 2002). In der Konsequenz, so heißt es weiter, ließen sich große Übereinstimmung im Gesundheits- und Krankheitsverständnis der muslimischen Philosophen und Gelehrten und der Definition der Weltgesundheitsorganisation finden, die Gesundheit als „Zustand vollständiger physischer, mentaler und sozialen Wohlbefinden und nicht als bloße Abwesenheit von Krankheit oder Schwäche“ definiert (World Health Organization, 1995; Mohammad et al., 2018).

    ʿAli ibn al-ʿAbbas al-Madschūsi (930-994) wuchs in der Gegend des heutigen westlichen Irans auf. Zu den am weitesten verbreiteten medizinischen Lehrbüchern seiner Zeit zählt sein Kāmil aṣ-ṣināʿ aṭ-ṭibbīya, in welchem er umfangreich über die Psychosomatik berichtet (Haque, 1998; Husain, 2017). Er befasste sich weiterhin mit der Psychophysiologie und neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern und vertrat die Meinung, dass natürliche Heilverfahren vor der medikamentösen Behandlung zunächst auszuschöpfen seien. Sein Werk beinhaltet viele medizinethische Überlegungen und betont die Rolle der therapeutischen Beziehung (Haque, 2004).

    Referenzen:

    Al-Bukhari, M. I. (2002). Sahih Al-Bukhari. Damascus, Syria: Dar Ibn Kathir; p. 1441, Book 76, Hadith 5678.

    Awaad, R. (2018, October). Historical Perspectives and Modern Clinical Implications for the development of Islamic Psychology. Paper presented at the conference of the International Association of Islamic Psychology, Istanbul, Turkey.

    Haque, A. (1998). Psychology and Religion: Their Relationship and Integration from Islamic Perspective. The American Journal of Islamic Social Sciences15, 97–116.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hyderabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry, in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

    World Health Organization. (1995). Constitution of the world health organization.

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 4

    Kategorisierung psychischer Störungen, Psychosomatik

    Unseren vierten Blogbeitrag zur Terra Incognita der islamischen Psychologie widmen wir Abū Zaid al-Balchī (850-934). Wie bereits zu Beginn dieser Reihe erwähnt, stammt das prominenteste Beispiel der Beiträge früher muslimischer Gelehrter zur modernen Wissenschaft von al-Balchī, einem im Norden des heutigen Afghanistans geborenen Universalgelehrten des 9. Jahrhunderts. Seine Texte haben unter muslimischen Psychologen die wohl weitläufigste Rezeption gefunden.

    al-Balchīs bedeutendstes Werk mit Relevanz zur Psychologie ist Maṣāliḥ al-abdān walanfus (Die Erhaltung des Körpers und der Seele, in Übersetzung bei: Badri, 2013; Özkan, 1990). Dieser Text ist in nicht-fachlichem Arabisch geschrieben, um es auch dem Laien leicht verfügbar zu machen und in zwei Teile gegliedert: Maṣāliḥ al-abdān, in dem die physische Gesundheit und Krankheitsprävention behandelt werden und Maṣāliḥ alanfus, der Teil zur psychischen Gesundheit. Der Titel nimmt bereits die Idee der Psychosomatik vorweg (Awaad, 2017). Die enthaltenen Klassifikationen und Definitionen der Angst- (Awaad & Ali, S., 2016) und Zwangsstörungen (Awaad & Ali, S., 2015) weisen bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit heutigen Konzeptualisierungen z.B. im DSM-5 auf und haben dadurch wichtige transkulturell-diagnostische Implikationen (Haque et al., 2016). Somit sind historische Zuschreibungen wie die, dass Robert Burton 1621 erstmalig die Zwangsstörung beschrieb oder dass die Zwangsstörung ein modernes Phänomen ist, nachdrücklich zu überdenken.

    al-Balchī klassifizierte psychische Störungen seinerzeit in vier Kategorieren: Wut (al-ghadab), Traurigkeit und Depression (al-Jaza‘), Furcht und Phobien (al-Faza‘) und Obsessionen (Khalili et al., 2002). Die Depression untergliederte er in alltägliche, normale Traurigkeit, endogene Depression mit körperlichem Ursprung und die reaktive Depression mit Ursprung außerhalb des Körpers (Haque, 2004). Parallelen mit zeitgenössischen Systemen wie dem DSM oder ICD fielen Babai (1999) auch bei Ibn Sina (siehe Blogbeitrag 9) auf und er konstatierte, dass der Einfluss des Gedankengutes früher muslimischer Gelehrte auf die gegenwärtigen diagnostischen Manuale nur schwer auszuschließen sei. Verschiedentlich wird al-Balchī der Ursprung der Verhaltenstherapie zugesprochen und er wird als erster kognitiver Psychologe gehandelt (Badri, 1998, 2013).

    al-Balchī ist neben seiner Kategorisierung psychischer Störungen auch für sein psychosomatisches Verständnis von Erkrankungen bekannt (Badri, 1998, 2013; Deuraseh & Al-Talib, 2005; Husain, 2017; Özkan, 1990). Im Einklang mit Herbert Bensons Einwand von 1997, dass sich die moderne Wissenschaft zu wenig mit den physischen Effekten von Vorstellungen und Emotionen auseinandersetzt und dass ein ausgeglichener Ansatz zum Wohlbefinden emotionale, spirituelle und intellektuelle Überlegungen anstellen sollte, argumentiert auch al-Balchī gegen die Mediziner seiner Zeit, die Gesundheit und Behandlung lediglich in Zusammenhang mit physischen Merkmalen brachten und die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist negierten. al-Balchī nahm keine qualitative Unterscheidung zwischen physischen und psychischen Erkrankungen vor und beschrieb, dass beide Arten sich gegenseitig bedingen. Dadurch hat er einen psychophysiologischen Ansatz zur mentalen Gesundheit etabliert, der als Basis für darauffolgende Gelehrten- und Philosophengenerationen diente (Mohammad et al., 2018). Manche Autoren schreiben ihm darüber hinaus auch die Prägung der Begriffe der mentalen Hygiene und der mentalen Gesundheit zu, die nach ihm maßgeblich von einer Körper-Seele-Balance abhängt (Husain, 2017).

    Referenzen:

    Awaad, R. & Ali, S. (2015). Obsessional Disorders in al-Balkhi′s 9th century treatise: Sustenance of the Body and Soul. Journal of Affective Disorders, 180, 185-189. doi:10.1016/j.jad.2015.03.003

    Awaad, R. & Ali, S. (2016). A modern conceptualization of phobia in al-Balkhi’s 9th century treatise: Sustenance of the Body and Soul. Journal of Anxiety Disorders, 37, 89-93. doi:10.1016/j.janxdis.2015.11.003

    Awaad, R. (2017, September). Historical and Islamic Scholarly Roots of Mental Health. Paper präsentiert auf dem Islamic Models of Nurturing Psychological and Spiritual Health Konferenz des Khalil Centers, Islamic Center at New York University.

    Badri, M. (1998). Abu Zayd Al-Balkhi: A Genius Whose Psychiatric Contributions Needed More Than Ten Centuries To Be Appreciated. Malaysian Journal of Psychiatry6(2).

    Badri, M. (2013). Abū Zayd al-Balkhī’s sustenance of the soul: The cognitive behavior therapy of a ninth century physician. London: International Institute of Islamic Thought.

    Babai, A. (1999). Zur Psychologie und Psychotherapie Ibn Sinas. Berlin, Deutschland: Galda und Wilch Verlag.

    Benson, H., & Stark, M. (1997). Timeless healing: the power and biology of belief. New York: Simon & Schuster.

    Deuraseh, N. & Abu Talib M. (2005). Mental health in Islamic medical tradition. The International Medical Journal, 4, 76-79.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Haque, A., Khan, F., Keshavarzi, H., & Rothman, A. E. (2016). Integrating Islamic Traditions in Modern Psychology: Research Trends in Last Ten Years. (2016). Journal of Muslim Mental Health, 10(1), 75-100.

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hdyerabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Khalili, S., Murken, S., Reich, K. H., Shah, A. A., & Vahabzadeh, A. (2002). Religion and Mental Health in Cultural Perspective: Observations and Reflections After The First International Congress on Religion and Mental Health, Tehran, 16–19 April 2001. The International Journal for the Psychology of Religion, 12(4), 217–237.

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry. in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

    Özkan, Z. (1990). Die Psychosomatik bei Abu Zaid al-Balhi (gest. 934 A.D.). In F. Sezgin (Ed.), Veröffentlichungen des Institutes für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften, Reihe A, Texte und Studien, Bd. 4. Frankfurt am Main, Deutschland.