Mit dem Namen ALLAHs, des Barmherzigen, des Allerbarmers, bismi ʾllāhi ʾr-raḥmāni ʾr-raḥīm

Kategorie: Islam

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 7

    Psychosomatik, Medizinethik, therapeutische Beziehung

    Frühe muslimische Gelehrte haben in ihren medizinischen Schriften traditionell mit den Krankheiten des Kopfes – und somit auch des Geistes – begonnen und sich dann langsam entlang des Körpers bis zu den Füßen durchgearbeitet (Awaad, 2018). Manche Autoren argumentieren, dass diese Diskussion mentaler und physischer Gesundheit explizit durch islamische Quelltexte motiviert ist (Mohammad et al., 2018): So hält ein prophetischer Ausspruch alle Menschen dazu an, für jedwede Krankheit eine Heilung zu finden. Denn für jede Krankheit, die Gott geschaffen hat, ist auch eine entsprechende Heilung geschaffen worden (Al-Bukhari, 2002). In der Konsequenz, so heißt es weiter, ließen sich große Übereinstimmung im Gesundheits- und Krankheitsverständnis der muslimischen Philosophen und Gelehrten und der Definition der Weltgesundheitsorganisation finden, die Gesundheit als „Zustand vollständiger physischer, mentaler und sozialen Wohlbefinden und nicht als bloße Abwesenheit von Krankheit oder Schwäche“ definiert (World Health Organization, 1995; Mohammad et al., 2018).

    ʿAli ibn al-ʿAbbas al-Madschūsi (930-994) wuchs in der Gegend des heutigen westlichen Irans auf. Zu den am weitesten verbreiteten medizinischen Lehrbüchern seiner Zeit zählt sein Kāmil aṣ-ṣināʿ aṭ-ṭibbīya, in welchem er umfangreich über die Psychosomatik berichtet (Haque, 1998; Husain, 2017). Er befasste sich weiterhin mit der Psychophysiologie und neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern und vertrat die Meinung, dass natürliche Heilverfahren vor der medikamentösen Behandlung zunächst auszuschöpfen seien. Sein Werk beinhaltet viele medizinethische Überlegungen und betont die Rolle der therapeutischen Beziehung (Haque, 2004).

    Referenzen:

    Al-Bukhari, M. I. (2002). Sahih Al-Bukhari. Damascus, Syria: Dar Ibn Kathir; p. 1441, Book 76, Hadith 5678.

    Awaad, R. (2018, October). Historical Perspectives and Modern Clinical Implications for the development of Islamic Psychology. Paper presented at the conference of the International Association of Islamic Psychology, Istanbul, Turkey.

    Haque, A. (1998). Psychology and Religion: Their Relationship and Integration from Islamic Perspective. The American Journal of Islamic Social Sciences15, 97–116.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hyderabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry, in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

    World Health Organization. (1995). Constitution of the world health organization.

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 5

    Intelligenz, Ethik, Psychosomatik

    Die religiöse Bedeutung mentaler Gesundheit wurde von frühen muslimischen Gelehrten umfassend besprochen. So gilt psychische Gesundheit und mentale Fassungskraft in einem juristischen Kontext als Bedingung für religiöse und soziale Gebote wie dem rituellen Gebet, dem Abschluss von Eheverträgen oder wirtschaftlicher Transaktionen. Darüber hinaus gilt die Bewahrung des Intellekts neben der Bewahrung der Religion/Glaube, des Lebens, der Familie und des Besitzes als Zielsetzung der islamischen Legislation. Muslimische Gelehrte haben sogar starke emotionale Zustände wie die Wut als Hindernis für die Entscheidungsfindung angesehen, so sollte zum Beispiel ein Richter niemals in einem Zustand der Wut Urteile fällen (Mohammad et al., 2018; Keshavarzi & Ali, 2018).

    Nachdem wir uns letzte Woche mit al-Balchī auseinander gesetzt haben, setzen wir unsere psychologische Sichtung der Texte früher muslimischer Gelehrter mit Abū Bakr Muḥammad ibn Zakaryā ar-Rāzī (854 – 925 n. Chr.) fort. Dieser wurde in Rayy, in der Nähe vom heutigen Teheran (Iran) geboren und ist in der Psychologie für sein al-Tibb al-ruhani bekannt, in dem er die moralischen und psychologischen Krankheiten der Seele bespricht (Husain, 2017). Weitere Werke umfassen al-Hāwī fī al-tibb, al-mujarrabāt und Kitāb al-Manṣūrī fī al-ṭibb. Das umfassende Buch der Medizin gilt als größte medizinische Enzyklopädie, die von einem Muslim verfasst wurde und beinhaltet ein Kapitel zu den Krankheiten des Kopfes, in dem auch neurologische und psychiatrische Krankheiten beschrieben werden (Mohammad et al., 2018). Er gilt als einer der ersten Vertreter einer spirituellen bzw. psychologischen Medizin und maß der Ethik in der Behandlungspraxis einen hohen Stellenwert bei (Nasr & Leaman, 2001). Darüber hinaus hat sich ar-Rāzī mit der Therapie psychosomatischer Symptomatik (Syed, 2002), mit dem Konzept der Hoffnung und positiven Gefühle im Genesungsprozess (Mohammad et al., 2018) und der Intelligenz beschäftigt (Haque, 2004). Er soll das Konzept der Psychose im Detail beschrieben haben (Awaad, 2017). Einige Autoren schlagen ar-Rāzī als ersten Chefarzt in der Geschichte vor, der eine psychiatrische Abteilung im Hospital in Bagdad errichtet hat (Husain, 2017; Syed, 2002). Payk (2005) weist jedoch darauf hin, dass diese Abteilung erst im Jahr 981, also knapp 60 Jahre nach ar-Rāzīs Tod, gegründet wurde. Die psychologische Literatur weist damit einige Inkonsistenzen in Bezug auf ar-Rāzīs Wirken auf.

    Referenzen:

    Awaad, R. (2017, September). Historical and Islamic Scholarly Roots of Mental Health. Paper präsentiert auf dem Islamic Models of Nurturing Psychological and Spiritual Health Konferenz des Khalil Centers, Islamic Center at New York University.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hdyerabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Keshavarzi, H & Ali, B (2018). Islamic Perspectives on Psychological and Spiritual Well-being and Treatment, in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry. in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

    Nasr, S. H. & Leaman, O. (2001). History of Islamic philosophy (3rd ed.). London, New York: Routledge.

    Payk, T. (2005). Psychiatrie im frühen Islam. In H. J. Assion (Ed.), Migration und seelische Gesundheit (pp. 21-28). Heidelberg, Deutschland: Springer, 21-28.

    Syed, I. B. (2002). Islamic Medicine: 1000 years ahead of its time. Journal of Islamic Medical Association2, 2-9.

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 4

    Kategorisierung psychischer Störungen, Psychosomatik

    Unseren vierten Blogbeitrag zur Terra Incognita der islamischen Psychologie widmen wir Abū Zaid al-Balchī (850-934). Wie bereits zu Beginn dieser Reihe erwähnt, stammt das prominenteste Beispiel der Beiträge früher muslimischer Gelehrter zur modernen Wissenschaft von al-Balchī, einem im Norden des heutigen Afghanistans geborenen Universalgelehrten des 9. Jahrhunderts. Seine Texte haben unter muslimischen Psychologen die wohl weitläufigste Rezeption gefunden.

    al-Balchīs bedeutendstes Werk mit Relevanz zur Psychologie ist Maṣāliḥ al-abdān walanfus (Die Erhaltung des Körpers und der Seele, in Übersetzung bei: Badri, 2013; Özkan, 1990). Dieser Text ist in nicht-fachlichem Arabisch geschrieben, um es auch dem Laien leicht verfügbar zu machen und in zwei Teile gegliedert: Maṣāliḥ al-abdān, in dem die physische Gesundheit und Krankheitsprävention behandelt werden und Maṣāliḥ alanfus, der Teil zur psychischen Gesundheit. Der Titel nimmt bereits die Idee der Psychosomatik vorweg (Awaad, 2017). Die enthaltenen Klassifikationen und Definitionen der Angst- (Awaad & Ali, S., 2016) und Zwangsstörungen (Awaad & Ali, S., 2015) weisen bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit heutigen Konzeptualisierungen z.B. im DSM-5 auf und haben dadurch wichtige transkulturell-diagnostische Implikationen (Haque et al., 2016). Somit sind historische Zuschreibungen wie die, dass Robert Burton 1621 erstmalig die Zwangsstörung beschrieb oder dass die Zwangsstörung ein modernes Phänomen ist, nachdrücklich zu überdenken.

    al-Balchī klassifizierte psychische Störungen seinerzeit in vier Kategorieren: Wut (al-ghadab), Traurigkeit und Depression (al-Jaza‘), Furcht und Phobien (al-Faza‘) und Obsessionen (Khalili et al., 2002). Die Depression untergliederte er in alltägliche, normale Traurigkeit, endogene Depression mit körperlichem Ursprung und die reaktive Depression mit Ursprung außerhalb des Körpers (Haque, 2004). Parallelen mit zeitgenössischen Systemen wie dem DSM oder ICD fielen Babai (1999) auch bei Ibn Sina (siehe Blogbeitrag 9) auf und er konstatierte, dass der Einfluss des Gedankengutes früher muslimischer Gelehrte auf die gegenwärtigen diagnostischen Manuale nur schwer auszuschließen sei. Verschiedentlich wird al-Balchī der Ursprung der Verhaltenstherapie zugesprochen und er wird als erster kognitiver Psychologe gehandelt (Badri, 1998, 2013).

    al-Balchī ist neben seiner Kategorisierung psychischer Störungen auch für sein psychosomatisches Verständnis von Erkrankungen bekannt (Badri, 1998, 2013; Deuraseh & Al-Talib, 2005; Husain, 2017; Özkan, 1990). Im Einklang mit Herbert Bensons Einwand von 1997, dass sich die moderne Wissenschaft zu wenig mit den physischen Effekten von Vorstellungen und Emotionen auseinandersetzt und dass ein ausgeglichener Ansatz zum Wohlbefinden emotionale, spirituelle und intellektuelle Überlegungen anstellen sollte, argumentiert auch al-Balchī gegen die Mediziner seiner Zeit, die Gesundheit und Behandlung lediglich in Zusammenhang mit physischen Merkmalen brachten und die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist negierten. al-Balchī nahm keine qualitative Unterscheidung zwischen physischen und psychischen Erkrankungen vor und beschrieb, dass beide Arten sich gegenseitig bedingen. Dadurch hat er einen psychophysiologischen Ansatz zur mentalen Gesundheit etabliert, der als Basis für darauffolgende Gelehrten- und Philosophengenerationen diente (Mohammad et al., 2018). Manche Autoren schreiben ihm darüber hinaus auch die Prägung der Begriffe der mentalen Hygiene und der mentalen Gesundheit zu, die nach ihm maßgeblich von einer Körper-Seele-Balance abhängt (Husain, 2017).

    Referenzen:

    Awaad, R. & Ali, S. (2015). Obsessional Disorders in al-Balkhi′s 9th century treatise: Sustenance of the Body and Soul. Journal of Affective Disorders, 180, 185-189. doi:10.1016/j.jad.2015.03.003

    Awaad, R. & Ali, S. (2016). A modern conceptualization of phobia in al-Balkhi’s 9th century treatise: Sustenance of the Body and Soul. Journal of Anxiety Disorders, 37, 89-93. doi:10.1016/j.janxdis.2015.11.003

    Awaad, R. (2017, September). Historical and Islamic Scholarly Roots of Mental Health. Paper präsentiert auf dem Islamic Models of Nurturing Psychological and Spiritual Health Konferenz des Khalil Centers, Islamic Center at New York University.

    Badri, M. (1998). Abu Zayd Al-Balkhi: A Genius Whose Psychiatric Contributions Needed More Than Ten Centuries To Be Appreciated. Malaysian Journal of Psychiatry6(2).

    Badri, M. (2013). Abū Zayd al-Balkhī’s sustenance of the soul: The cognitive behavior therapy of a ninth century physician. London: International Institute of Islamic Thought.

    Babai, A. (1999). Zur Psychologie und Psychotherapie Ibn Sinas. Berlin, Deutschland: Galda und Wilch Verlag.

    Benson, H., & Stark, M. (1997). Timeless healing: the power and biology of belief. New York: Simon & Schuster.

    Deuraseh, N. & Abu Talib M. (2005). Mental health in Islamic medical tradition. The International Medical Journal, 4, 76-79.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Haque, A., Khan, F., Keshavarzi, H., & Rothman, A. E. (2016). Integrating Islamic Traditions in Modern Psychology: Research Trends in Last Ten Years. (2016). Journal of Muslim Mental Health, 10(1), 75-100.

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hdyerabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Khalili, S., Murken, S., Reich, K. H., Shah, A. A., & Vahabzadeh, A. (2002). Religion and Mental Health in Cultural Perspective: Observations and Reflections After The First International Congress on Religion and Mental Health, Tehran, 16–19 April 2001. The International Journal for the Psychology of Religion, 12(4), 217–237.

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry. in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

    Özkan, Z. (1990). Die Psychosomatik bei Abu Zaid al-Balhi (gest. 934 A.D.). In F. Sezgin (Ed.), Veröffentlichungen des Institutes für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften, Reihe A, Texte und Studien, Bd. 4. Frankfurt am Main, Deutschland.

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 3

    Kindliche Entwicklung, Relevanz der Psychotherapie

    In der dritten Woche unserer Blogreihe beschäftigen wir uns weiterhin mit der Terra Incognita der islamischen Psychologie: dem psychologischen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Gedankengut in den Schriften früherer muslimischer Gelehrter. Eine fundamentale Herausforderung bei der psychologischen Rezeption dieser Arbeiten ist, dass die meisten Schriften nur sehr schwer zugänglich sind (Awaad, 2018). Genauso wie die frühen muslimischen Gelehrten in ihrer psychiatrischen und therapeutischen Praxis in interdisziplinären Teams gearbeitet haben (vgl. Blogbeitrag nächste Woche), bedarf es darüber hinaus auch eines gut organisierten interdisziplinären Teams aus islamischen Theologen, arabischen Sprachwissenschaftlern und Psychologen und Psychiatern, um die Werke früherer muslimischer Gelehrter zu analysieren.

    Der Gelehrte, mit dem wir uns heute auseinander setzen möchten, ist ʿAlī ibn Sahl Rabban at-Tabarī (838-870). Dieser stammte aus dem Norden des heutigen Irans. Sein medizinischer Text Firdaus Al-Hikmah (Paradies der Weisheit) stellte die erste medizinische Enzyklopädie dar und beinhaltete auch Beiträge zur Psychologie (Payk, 2005), die z.B. zum Verständnis der kindlichen Entwicklung beigetragen haben (Haque, 2004). Weiterhin ist in seiner Enzyklopädie ein Kapitel zu den Krankheiten des Kopfes und des Gehirns zu finden (Mohammad et al., 2018). at-Tabarī ging außerdem auf die Wichtigkeit der Psychotherapie und ihrer Relevanz für die medizinische Behandlung ein (Hamarnah, 1984) und betonte die Notwendigkeit einer positiven therapeutischen Beziehung für den Therapieerfolg (Husain, 2017).

    Referenzen:

    Awaad, R. (2018, October). Historical Perspectives and Modern Clinical Implications for the development of Islamic Psychology. Paper presented at the conference of the International Association of Islamic Psychology, Istanbul, Turkey.

    Payk, T. (2005). Psychiatrie im frühen Islam. In H. J. Assion (Ed.), Migration und seelische Gesundheit (pp. 21-28). Heidelberg, Deutschland: Springer, 21-28.

    Hamarneh, S. K. (1984). Health Sciences in Early Islam: Collected Papers. Blanco, TX: Zahra Publications.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hyderabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry. in H. S. Moffic,, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

  • Tagungsbericht zur ersten internationalen Konferenz der International Association of Islamic Psychology (26. – 28. Oktober 2018, Istanbul)

    Neue Wege für existierendes Wissen: Der Beitrag einer islamischen Psychologie zum Verständnis der menschlichen Natur

    Paul M. Kaplick, Emine Balci-Sentürk & Ibrahim Rüschoff

    Als um die Jahrhundertwende die International Association of Muslim Psychologists gegründet wurde, konnte man auf internationalem Boden nur wenig mit dem Begriff einer islamischen Psychologie anfangen. Psychologen sowohl im arabischen und asiatischen Raum als auch in westlichen Ländern befanden sich teilweise noch in einem Zustand der Identitätsbestimmung gegenüber der gegenwärtigen wissenschaftlichen Psychologie, die sich angeblich den spirituellen, metaphysischen und volitonalen Aspekten des Menschen verweigerte (Kaplick & Rüschoff, 2018). Während der letzten beiden Jahrzehnte haben sich die internationalen Gespräche unter muslimischen Psychologen jedoch weiterentwickelt, und so ist nun ein rapide wachsendes Interesse am Islamischen einer Psychologie zu beobachten – in welcher Form sich dies auch gestalten mag.

    Die erste Konferenz der im Juli 2018 gegründeten International Association of Islamic Psychology (IAIP) bediente nun Ende Oktober 2018 dieses Interesse einer neuen Generation muslimischer Psychologen. Die Aufgabe der IAIP besteht in der Findung neuer Wege, bestehendes Wissen einzusetzen: Die gegenwärtige Psychologie bietet eine ideale Plattform, um die Konzepte und Theorien von traditionellen muslimischen Gelehrten, vor allem derjenigen wiederzubeleben, die vom 7.-13. Jahrhundert aktiv waren. Es geht um die Gestaltung einer islamischen Psychologie, die unser Verständnis der menschlichen Psychologie im Allgemeinen vorantreibt und das Wohlergehen aller Menschen zu verbessern vermag. Das islamische an der islamischen Psychologie zeigt sich dabei in deren Verwurzelung in einem epistemologischen und ontologischen Paradigma der islamischen Theologie. Der Umfang des Interesses an einer solchen Zielsetzung manifestiert sich bereits darin, dass innerhalb von vier Monaten 75 Mitglieder aus 19 Ländern, darunter 6% aus Deutschland, der Vereinigung beigetreten sind.

    Wir werden im Folgenden eine allgemeine Zusammenfassung unserer Eindrücke und Gedankengänge vorstellen, die sich während der dreitätigen Konferenz ergeben haben und danach anhand einiger Vorträge die maßgeblichen Ergebnisse der Tagung ausführen. Der wohl spannendste Aspekt der Tagung war, dass Psychologen, Psychotherapeuten, Berater und Psychiater, die bis dato in Isolation bzw. auf nationaler Ebene gearbeitet haben, nun in der perfekten Lokalität von Istanbul, an der Zaim Universität, die das Projekt einer islamischen Psychologie aktiv vorantreibt, sich kennen lernen und sich strukturiert austauschen konnten. Es ist nicht nur ein Umschwung von muslimisch zu islamisch (d.h. von transkulturellen hin zu religiösen Perspektiven auf die Psychologie), sondern auch von isolierten zu kollektiven Bestrebungen zu verzeichnen. Die kollektive Komponente äußert sich dabei nicht nur in der Internationalität, sondern auch in einer bisher unbekannten Multidisziplinarität, bei der islamische Theologen wie Yusuf Jha aus Nottingham und Imame wie Mohamed Magid aus den USA an dieser Tagung teilgenommen und aktiv dazu beigetragen haben.

    Bei allem Enthusiasmus über die Internationalität und Multidisziplinarität möchten wir jedoch hervorheben, dass für uns vor allem eine kritische, akademische und professionelle Grundhaltung von großer Wichtigkeit ist. Kritisch ist zu bemerken, dass die ersten beiden Konferenztage eher von einer emotionalen Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Islam und Psychologie dominiert wurden. Dies geschah auf Kosten der Diskussion von philosophischen Inhalten und der entscheidenden Frage, was denn nun islamisch an einer islamischen Psychologie ist, und wie man mit einem islamischen Exzeptionalismus umgehen sollte. Inhaltliche Diskurse wurden überschattet von sich wiederholenden, teilweise simplizistischen Ideen einer älteren Generation muslimischer Psychologen, die sich noch an der kolonialen Vergangenheit ihrer arabischen Gesellschaften abzuarbeiten scheint. Das betrifft vor allem die Verhältnisbestimmung des muslimischen und „westlichen“ Menschenbildes, ihrer Resonanzen und Differenzen. Diese Auseinandersetzung ist zu Beginn der Theoriebildung selbstverständlich zu klären (El Shakry, 2018) und maßgeblich für die Identität muslimischer Psychologen, jedoch geschieht dies seit nun vier Jahrzehnten mehr als ausführlich (Kaplick & Rüschoff, 2018). Aufgrund des emotionsgebundenen Interesses an der Beziehung zwischen Islam und Psychologie konnten zielführende und erkenntnisbringende Diskussionen zu vielversprechenden Themen wie „Rediscovery and Integration: Applying religious approaches used by early Muslim scholars in the context of modern psychological treatment“ oder „An Islamic paradigm shift in relation to theoretical constructs and experimental research in psychology“ nicht ausreichend ausgeschöpft werden. Vielmehr wurden lange geklärte Problemfelder immer wieder aufgegriffen und reflektiert. Ebenso wenig zielführend und erkenntnisbringend ist die Tatsache, dass sich einige Kollegen gegen die „westliche“ Wissenschaft positionierten, z.B. durch die Aussage, dass muslimische Gelehrte bereits das Wichtigste für eine ausreichende Auseinandersetzung mit der Psychologie des Menschen behandelt haben, und die „westliche“ Wissenschaft diese Inhalte nun überflüssigerweise erneut penibel beschreibe, erkläre und studiere.

    Im deutlichem Gegensatz zu diesem apologetischen Diskurs schilderte die Psychiaterin Dr. Rania Awaad aus Stanford, wie die Schriften früher muslimischer Gelehrter dazu dienen können, die bisherige Geschichtsschreibung der Psychologie und Psychiatrie wissenschaftlich fundiert zu überdenken. Im Laufe der letzten Jahre, so berichtete sie, hat ihr interdisziplinäres Team 112 Manuskripte früher muslimischer Gelehrter gesichtet. Dabei wurden aus psycho-philosophischen, -medizinischen, -spirituellen und -präventiven Texten in verschiedenen Beiträgen (Awaad & Ali, 2015, 2016) die transhistorische Relevanz z.B. des Konzeptes der Zwangsstörung beleuchtet. Dieses wurde Jahrhunderte vor der ersten Fallstudie in Robert Burtons (1621) Buch zur Anatomie der Melancholie durch den Universalgelehrten Abū Zayd Al-Balkhī aus dem 9. Jahrhundert mit dem heutigen DSM-5 fast synonym übereinstimmend beschrieben.

    Dr. Alizi Alias von der International Islamic University Malaysia (IIUM) eröffnete den dritten Konferenztag mit einem ausgesprochen erfrischenden Vortrag zur Entwicklung eines Curriculums der islamischen Psychologie in Malaysia. Diese Entwicklung erstreckt sich über vier Phasen (1990-1999: Formierung der IIUM mit einem Psychologie Studiengang; 2000-2009: Einbeziehung einer islamischen Perspektive am Ende jeder Vorlesungsreihe; 2010-2019: Seminar mit einer islamische Perspektive am Ende jeder Vorlesungsreihe; 2019-zukünftig: organisch integrierte islamische Komponente in einem biopsychosozial-spirituellen Ansatz als Grundlage des Curriculums). Mit Dr. Alias‘ Ausführungen zu den drei wesentlichen konzeptionellen Stufen der Entwicklung einer islamischen Psychologie – Islamisierung, Relevantisierung (tajdīd) und Integration – begann er eine lebendige Debatte zu den zentralen Fragen, die in den nächsten 10 Jahren ausführlich beantwortet werden müssen: Was ist islamisch an der islamischen Psychologie? Welche Methodologie legen wir in der Theoriebildung und Integration von Disziplinen zugrunde? Welche islamischen Interventionen können wir in der Psychotherapie nutzbar machen, und kann die Wirkung dieser spirituell integrierten Psychotherapie in randomisierten klinischen Studien nachgewiesen werden?

    Hooman Keshavarzi vom Khalil Center in Chicago diskutierte anschließend das Potential der Texte früher muslimischer Gelehrter für die Verbesserung des Wohlbefindens aller Menschen. Dabei stellte er ein epistemologisches und ontologisches Paradigma vor, welches in den Ashʿari und Māturīdī Schulen gegründet ist und stellte Überlegungen an, wie eine islamisch-integrierte Psychotherapie innerhalb dieses Rahmens konstruiert werden kann. Dabei ging es um die objektiven Quellen des Wissens (sensorisches/hissi und empirisches Wissen, Vernunft/manṭiq und Offenbarungswissen), um zu verdeutlichen, dass empirisch-psychologisches und islamisches Wissen jeweils die gleiche Stärke in ihrer Beweiskraft haben, sich jedoch im Wert, d.h. im sakralen Charakter des islamischen Wissens unterscheiden. Darüber hinaus wurden die drei wesentlichen islamischen Quelldisziplinen für eine islamisch-integrierte Psychotherapie vorgestellt: al-Fiqh al-Akbar/ʿaqīda, al-Fiqh al-bāṭin/tasawwuf und al-Fiqh al-ẓāhir).

    Es wurde deutlich, dass die Rolle der dualen Ausbildung in den islamischen Disziplinen und der Psychologie und Psychotherapie ein brennendes Thema auf der Konferenz darstellt. Man konnte dabei eine weitgehende Übereinstimmung darin feststellen, dass die zukünftigen Ausbildenden in einer islamisch integrierten Psychotherapie über eine solide duale Ausbildung in den (traditionellen) islamischen Disziplinen und der Psychologie und Psychotherapie benötigen. Die angehenden Therapeuten benötigten zwar keine umfassende theoretische Ausbildung, jedoch tiefgehende Kenntnisse über die praktische Umsetzung, um nicht nur spirituell-sensible, sondern auch spirituell-kompetente Therapie anbieten zu können.

    Ein Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Theologen und Therapeuten bzw. Beratern lieferte Imam Magid. Er berichtete von seiner Zusammenarbeit mit dem Psychotherapeuten Abdallah Rothman. Bei der Beratung von muslimischen Ratsuchenden in seiner Gemeinde bot Imam Magid bei Themen wie Ehe und Partnerschaft nur in Ausnahmefällen ausschließlich eine auf der islamischen Jurisprudenz basierende Lösung für ein Problem an. Vielmehr verwies er die Ratsuchenden häufig zum Therapeuten, damit eine adäquate Analyse und gegebenenfalls Intervention für die gegebenen Probleme erarbeitet werden konnte. Dies geschah aufgrund seiner Überzeugung, dass ein Problem nur selten sofort durchschaubar ist und mit einer einfachen Antwort gelöst werden kann. Die Jurisprudenz kann wenig Lösungen für psychologische Konflikte anbieten kann. Imam Magids Aussage zufolge wäre eine solche Herangehensweise im Beratungsprozess sogar eine Ungerechtigkeit, die er im Dienste des Islam als beratender Imam begehen würde. Seine Überzeugung von der Wichtigkeit der Psychologie für das menschliche Wohlbefinden geht so weit, dass er eine Eheschließung in seiner Gemeinde nur unter der Bedingung durchführt, dass das Paar zuvor einige Sitzungen Eheberatung in Anspruch genommen hat, um feststellen zu können, ob sie den Anforderungen und Verantwortungen einer Ehe gewachsen sind.

    Um die Weisheiten, die im Koran verborgen sind, begreifen und in der Therapie aufgreifen zu können, ist es für Therapeuten und Berater von großer Bedeutung, sich mit den qur’anischen Texten auseinanderzusetzen. Ein mindestens auf den Grundlagen basierendes Islam-Studium stellt für alle Therapeuten und Berater, die islamische Inhalte in ihre Therapie und Beratungstätigkeit integrieren möchten, eine wichtige Komponente dar. Da ein umfassendes Studium nicht für alle möglich sein wird, stellt sich hier die Aufgabe der engen Zusammenarbeit von Therapeuten und Beratern mit islamischen Theologen. Dazu kann das Beispiel von Imam Magie und Abdallah Rothman als Vorbild dienen.

    Die systemische Psychotherapeutin Dr. Rabia Malik aus London stellte ihre Arbeit zur Integration von qur’anischen Geschichten in familientherapeutischen Settings vor. Sie schilderte ihre Zusammenarbeit mit Theologen in der Aufarbeitung und Interpretation von Geschichten aus dem Koran. Diese werden alltagsrelevant für die Patienten aufgearbeitet und die Lehren, die aus diesen Geschichten gezogen werden können, zu einem Beispiel und Hoffnungsträger für Ratsuchende herangezogen. Die Integration von islamischen Inhalten in die Therapie bzw. Beratung ist vielfältig möglich. Dies wird bereits deutlich, wenn man den Nutzen von „Dankbarkeit und Geduld, Demut und Sanftmut“ betrachtet, der aus den islamischen Lehren hervorgeht. Daher bleibt es offen und zu überlegen, ob neben dem Studium einer „islamischen Psychologie“ auch ein weiteres Curriculum für ein Studium einer „islamintegrierten Psychotherapie“ mit einem interdisziplinären Team von Theologen und Psychiatern, Psychologen und Psychotherapeuten konzeptioniert werden kann.

    https://www.islamicpsychology.org/iaip-conference

    Referenzen

    Awaad, R., & Ali, S. (2015). Obsessional Disorders in al-Balkhi′s 9th century treatise: Sustenance of the Body and Soul. Journal of Affective Disorders, 180, 185-189. doi:10.1016/j.jad.2015.03.003

    Awaad, R., & Ali, S. (2016). A modern conceptualization of phobia in al-Balkhi’s 9th century treatise: Sustenance of the Body and Soul. Journal of Anxiety Disorders, 37, 89-93. doi:10.1016/j.janxdis.2015.11.003

    Burton, R. (1621). The Anatomy of Melancholy. Oxford.

    El Shakry, S. O. (2018). The Arabic Freud: Psychoanalysis and Islam in modern Egypt. Woodstock, United Kingdom: Princeton University Press.

    Kaplick, P. M., & Rüschoff, I. (2018). Islam und Psychologie – Gegenstand und Historie. In I. Rüschoff & P. M. Kaplick (Eds.), Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis (pp. 25-84). Münster: Waxmann.