Ausblick

In Hinblick auf die in den vorherigen Blogbeiträgen vorgebrachte Kritik an der IP Literatur sind zukünftig einige Sachverhalte anzugehen. Wir gliedern unseren Ausblick in (1) einen konzeptionellen und strukturellen Teil und werden dabei beleuchten, welche Entwicklungen langfristig interessant sein können und (2) welche langfristigen Ziele die Islam und Psychologie-Strömung verfolgen kann.

Konzeptionelle und strukturelle Entwicklungen

Konzeptionell werden sich viele der erläuterten Probleme durch eine allgemeine Qualitätssteigerung der Arbeiten und Orientierung an internationalen wissenschaftlichen Standards beheben lassen. Diese Qualitätssteigerung wird momentan vor allem von westlichen muslimischen Psychologen eingefordert und kann z. B. dabei helfen, den Westen nicht mehr zu dämonisieren, psychologische von theologischer und philosophischer Fachterminologie stringenter zu unterscheiden, mehr Wert auf die zugrundliegende Methodologie hinter den verschiedenen Definitionen der islamischen Psychologie zu legen und kritische Arbeiten zu veröffentlichen, die neben dem axiomatischen Wahrheitsanspruch islamischer Quelltexte bestehen, kein  missionarisches Ziel verfolgen und ein weit gefasstes Islamverständnis und somit eine Pluralität von Meinungen zulassen.

Neben einer Forderung nach allgemeiner Qualitätssteigerung ist weiterhin zu bedenken, wie in bestehenden Arbeitslinien weiterzuarbeiten ist. Die Hinterfragung „westlich“-psychologischer Konzepte aus einer islamischen Perspektive mag für eine erste Orientierung sinnvoll gewesen sein (Kaplick & Skinner, 2017), es ist jedoch fraglich, ob eine parametrische Vorgehensweise mit einem one-to-one mapping aller westlichen Konzepte mit einer islamischen Meinung langfristig zu echtem Erkenntnisgewinn führt. Diese Vorgehensweise war während des Stadiums der Identitätsfindung sehr hilfreich und kann heute bei tatsächlich relevanten Fragestellungen sicherlich weiterhin ein wichtiges Hilfsmittel sein. Auch sind empirische Untersuchungen zu Muslimen aus der Perspektive einer empirisch-orientierten islamischen Psychologie (hier nicht Muslim Mental Health-Arbeiten!) aus unserer Sicht hinsichtlich ihrer Aussagefähigkeit weiter zu untersuchen.

Im Gegensatz dazu bieten die Werke der traditionellen muslimischen Gelehrten sowohl der frühen Zeit des Islams als auch der Gegenwart ein mögliches Potential, um eine islamische Psychologie zu formulieren. Mit der Erschließung dieser Arbeiten ist auch der Entwicklung entgegenzusteuern, das Rad ständig neu zu erfinden und mit der Theoriearbeit wieder und wieder vom Punkt 0 zu beginnen. Es ist davon auszugehen, dass bisher nur 6% der vorhandenen Schriften der frühen muslimischen Gelehrten mit Relevanz zur Psychologie gesichtet wurden (Elzamzamy & Patel, in Vorbereitung).

In Ergänzung der Texte der frühen muslimischer Gelehrter sind auch die Arbeiten muslimischer Psychologen der Gegenwart in Sprachen jenseits des Englischen zu sichten und weiterzudenken. Auch wenn sprachliche Grenzen sich durch die Verbreitung des Englischen als Lingua Franca auch in der islamischen Welt zunehmend verwischen, dürfte ein großer historischer Literaturkorpus unter anderem im Türkisch- Osmanischen (siehe: Sahin, 2013), Persischen (z. B. Husaini, 1986, 1999), Urdu (z. B. Rizwi, Umar & Tufail, 1997) und Malaiischen in den Universitätsbibliotheken, Archiven und privaten Büchersammlungen von Einzelpersonen auf Übersetzung und kritische Herausgabe warten.

Mit der Aufarbeitung der Texte muslimischer Gelehrter und muslimischer Psychologen ist auch eng die Auslotung des Potentials einer islamischen Psychologie verbunden. Es geht dabei insbesondere um die Frage, was eine solche Psychologie leisten kann und diese durch die Beschreibung grundlegender Konzepte und Methoden zu beantworten. Dabei ist Moughrabi (2000, in diesem Band) zuzustimmen, dass zur Etablierung einer indigenen islamischen Psychologie die notwendige Theoretisierung von Grund auf neu durchdacht werden muss.

Weitere Probleme, die wir in der kritischen Würdigung angesprochen haben, wie z. B. die vermehrte Betonung bereits geleisteter Arbeit, ein intensiverer kritischer Diskurs und der einseitig klinische Fokus können strukturell angegangen werden. Hierzu ist eine stärkere internationale Vernetzung der Szene muslimischer Psychologen wichtig, insbesondere mit der islamischen Welt. Wir haben bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass eine lebendige internationale Szene muslimischer Psychologen existiert, die sich mit der Beziehung von Islam und Psychologie auseinander setzt (Kaplick & Rüschoff, 2018).

Neben der verstärkten internationalen Zusammenarbeit mit muslimischen Psychologen wird auch die Einbeziehung der islamischen Theologie, Mystik und Philosophie essentiell sein, um philosophisch- und theologisch-orientierte Fragestellungen anzugehen.

Ebenso wichtig ist die Kooperation mit anderen Religionen, die sich mit der Rolle der Spiritualität in den Gesundheitsberufen auseinandersetzen. Wegen der Ähnlichkeit des Verständnisses von Religion als Lebensweise ist hier vor allem die Arbeit jüdischer Psychologen und Psychotherapeuten interessant (z. B. Spero, 1992).

In 2 Wochen setzen wir diesen Ausblick fort.

Über diese Blogreihe

Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.