Aus der Schatzkiste. Die Wenigsten wissen, dass die IASE seit den 1980er Jahren existiert. Wir haben alte Tagungsbeiträge ausgesucht, um sie wöchentlich hier zu posten. Viel Vergnügen beim Lesen.


Gewalt in der Praxis der Beratung

Bothina El Toukhy

Beispiel 1:

Eine Freundin rief für eine Bekannte an, die erhebliche Schwierigkeiten mit ihrem Mann hatte. Wie sich herausstellte, kannte ich diese Frau. Bei der Heirat war die Frau 16 Jahre, der Ehemann 50 Jahre alt. Sie kam mit der Heirat nach Deutschland, der Mann war mit einer Deutschen verheiratet gewesen und hatte aus dieser Ehe zwei erwachsene Kinder. Die zweite Frau lebte im Hause der vorherigen Fa­milie, jedoch in einer eigenen Wohnung. Die Schwierigkeiten bestanden darin, dass der Ehemann ger­ne weitere Kinder haben wollte. Zwei Kinder der Familie hatte der Mann aus der ersten Ehe mitge­bracht, weitere zwei stammten aus der jetzigen Ehe. Die Frau war damit nicht einverstanden und wur­de daraufhin von ihrem Mann geschlagen.

Nach anfänglicher Weigerung brachte die Frau dann im Alter von 19 Jahren ein drittes Kind zur Welt, insgesamt also drei Kinder in drei Jahren. Da der Mann beruflich viel im Ausland unterwegs war, blieb die Frau mit den Kindern fast die ganze Zeit alleine, ohne Sprachkenntnisse, ohne Führerschein. Auch mit der alten Familie, die ja im Hause wohnte, durfte sie keinen Kontakt aufnehmen. Als sie mit den Nachbarn einmal etwas unternommen hatte, gab es mit dem Mann erhebliche Probleme, dabei auch Tätlichkeiten. Einmal war die zu einer Bekannten nach Berlin geflohen, weil sie die Situation nicht er-trug, bei der Rückkehr des Mannes über alle möglichen Kleinigkeiten genauestens Rechen­schaft ab-legen zu müssen. Der Mann hatte es inzwischen durch seine Interventionen geschafft, auch ihre Familie auf seine Seite zu bringen, die sich schließlich von der Frau lossagte und sie darauf hin­wies, ihrem Mann zu gehorchen.

Wir waren in der Situation sehr hilflos. Die Frau wollte meinen Rat. Ich lud sie zusammen mit ihrem Mann zu uns ein, die Bemühungen brachten jedoch keinen rechten Erfolg. Die Frau ließ sich schließ­lich scheiden lassen und ist einfach ohne Geld und Paß und ohne die Kinder ausgezogen. Sie kämpft jetzt um das Sorgerecht und Unterhalt durch den Mann.

Beispiel 2:

Eine Mutter kam zu mir und berichtete, dass ihre Tochter, ein 12-jähriges Mädchen aus unserer tür­kisch-marokkanischen Mädchengruppe‘ in ein Mädchenhaus gegangen sei.

Das Mädchen stammte aus der ersten Ehe der Mutter, die inzwischen wieder geheiratet hatte und be­klagte sich, dass es vi-on der Mutter viel geschlagen werde und es daheim nicht mehr aushalten könne. Dazu kam ein kleiner Halbbruder aus der zweiten Ehe, gegenüber dem sie sich als Mädchen benach­teiligt fühlte. Privi-ate Kontakte zu Freundinnen waren schwierig, da de Mutter dagegen war, dass sie mit ihren nichtmuslimischen Freundinnen aus dem Haus ging.

Das Mädchen war mit zwei Kulturen konfrontiert: In der Schule herrschte ein großes Maß an Freiheit und Selbstbestimmung, in der Familie bekam sie vorwiegend Befehle und Auflagen von der Mutter, die stets alles mit dem Islam und „unserer“ Tradition begründete.

Während des Aufenthaltes im Mädchenhaus fiel das Kind durch einen Diebstahl in einem Supermarkt auf so dass die Eltern schließlich dafür sorgten, dass das Kind wieder nach Hause kam und dann in die Heimat zu den Großeltern schickten. Auch hier war konkreter Rat sehr schwierig. Die Mutter hatte wenig bis gar kein Vertrauen in diese Gesellschaft.

Diskussion: 

Tahira Beg:

Ich arbeite beim Jugendamt und habe in der Vergangenheit immer wieder versucht, mit Imamen in Kontakt zu treten und gemeinsam zu arbeiten. Wenn ich als Frau, auch wenn ich Muslima bin, meine, ihm etwas sagen zu können, fühlen sie sich meiner Erfahrung nach in ihrer Autorität um so eher ange­griffen, je weniger sie Einblick in unsere gesellschaftliche Realität besitzen Auf diese Weise geht gar nichts. Ich versuche in letzer Zeit eher eine Person anzusprechen, die dieser Imam als Autorität akzep­tiert und die dann mit ihm in Kontakt tritt. Es geht m.E. sehr darum, dass der Hodscha sein Gesicht wahren kann. Dabei ist mir wichtig, dass für die Muslime etwas Positives heraus kommt und nicht, dass ich dort etwas regele.

Dr. Hamdani:

Das Problem ist sehr vielschichtig. Es lassen sich mindestens vier Ebenen unterscheiden: Dabei ist es gleich, auf welcher Ebene die Intervention erfolgt oder wie richtig sie ist, wenn sie nur auf einer Ebene erfolgt, reicht sie nicht aus. Folgende Bereiche kann man benennen:

Der Berater/Therapeut, der sich fragt, was er tun soll, was zwischen ihm und dem Klienten geschieht. Hier wird die Bedeutung einer Supervision klar, einer neutralen Stelle, die ein wenig aus der Ver­wick-lung heraus hilft und einen Überblick verschafft.

Der Ratsuchende: Hier muß vor allem der Auftrag geklärt werden. Wer will was? Werde ich von einer Seite instrumentalisiert? Wie weit mache ich mit?

Der Islam: Trotz individueller Spielräume gibt es im Islam anerkannte Linien und Prinzipien, die nicht zur Diskussion stehen. In welchem Verhältnis man zu diesen Prinzipien steht, muß man für sich klä­ren, doch deren Anerkennung klärt bereits eine Vielzahl von Problemen.

Die eigene Institution: Das Rechtssystem in Deutschland entspringt einer Idee und einer bestimmten Motivation. Diese Motivation zu klären, in die man als Arbeitnehmer, in diesem Fall als Beraterin in einer katholischen Einrichtung hinein genommen ist, klärt viele Verwicklungen und Rollenkonflikte.

Mondher Ammar

Zum Thema Imame: Man muß schon den Einzelfall anschauen. Es gibt Imame mit unterschiedlichen Lebensläufen, aus unterschiedlichen Schulen, aus unterschiedlichen Ethnien.

Wir haben weiterhin als Berater o.ä. mit zwei Systemen zu tun. Auf der einen Seite das deutsche, dass effizient ist und gut funktioniert, dann ein weiteres, das nicht effizient ist und keinen Schutz bietet, jedoch Identität und Zugehörigkeit und ein Stück Ruhe. Es ist nun sehr kompliziert, mit oder auch zwischen diesen beiden Systemen zu arbeiten. Ich selbst bin zwar Soziologe, jedoch durch meine mehrjährige Arbeit bei der Caritas immer wieder mit Scheidungs- und Trennungsfällen konfrontiert worden. Inzwischen habe ich alle Arten von Gewalt erlebt. Besonders schwierig waren die Fälle, in denen die Paare nicht standesamtlich‘ sondern nur islamisch verheiratet waren. Hier ist der Schutz (Z.B. Unterhalt nach Trennung, Sorgerechtsregelungen etc.) besonders schwierig oder auch unmög­lich, so dass ich inzwischen der Überzeugung bin, dass was nicht legal oder offiziell ist, auch nicht is­lamisch sein kann. Was nützt mir ein System der Zugehörigkeit, der Identität, das im Notfall doch keinen Schutz bietet? Was soll ich mit einem Kind über Religion reden, dass immer wieder massivi­geprügelt wird und mir seine blauen Flecken zeigt? Was können wir also praktisch tun?

Dr. Hamdani:

Therapie ist Beziehungsarbeit. Und wenn ich in Therapie und Beratungsarbeit tätig bin, dann sollte ich schauen, zu wem im Umfeld (noch) eine Beziehung besteht. Kann ich da kooperativ anknüpfen, finde ich schnell eine Gemeinsamkeit und stoße auch auf ein Problembewußtsein. Nun ist oft ihre Art, die Probleme zu lösen, nicht optimal. Andererseits muß ich meine Auffassung relativieren, dass meine Art, die Probleme zu lösen, die beste sei. Wenn wir uns dann ohne Schuldzuweisung gemeinsam hinsetzen können, wenn wir das „Teufelsdreieck“ zwischen Opfer, Retter und Verfolgtem nicht aufbauen, be­steht eine Chance, weiter zu kommen. Sonst ist das Spiel aus, bevor es begonnen hat.

Warum lernen wir nicht voneinander? Warum kann ich nicht zu einem Hodschas sagen: „Du schaffst ‚Wunder‘ mit deinen Methoden der Suggestion, die Menschen verlieren oft ihre Symptome. Ich als Psychiater mache manche ‚Wunder‘ mit Medikamenten, doch es hilft auch nicht immer. Ich möchte gerne einmal von dir lernen wie du das machst.“