Philosophische Psychologie, Philosophie des Geistes, Sozialpsychologie, Träume
Das islamische Verständnis des Gottesdienstes ist weiter gefasst als die bloße Durchführung religiöser Rituale. Glaube und Handlung können in alle Bereiche der menschlichen Existenz einbezogen werden, denn kein privater noch öffentlicher Aspekt des Lebens ist zu gering, um nicht in einen Gottesbezug gebracht zu werden. Das islamische Verständnis von Gottesdienst ist, Kongruenz zwischen der menschlichen Natur (fiṭra), wie sie von islamischen Quelltexten beschrieben wird, und dem menschlichen Erleben und Verhalten herzustellen – auch unter Rückgriff auf die ihn umgebende Umwelt, die ihm zur Erfüllung seiner Existenzfunktion dienstbar gemacht wurde (45:13) (Rüschoff, 1989; Öz & Kaplick, 2018).
Das arabische Wort für die Statthalterschaft des Menschen (ḫilāfa) entstammt der Wortwurzel ḫ-l-f und bezieht sich lexikalisch betrachtet auf Austausch, Substitution, Mandat oder auch Delegation. In der islamischen Theologie wird das Konzept der Statthalterschaft dahingehend verdeutlicht, dass es sich um die Delegierung von Verantwortung für Aufgaben handele, die zunächst Gottes Aufgaben waren (32:5). Diese seien jedoch an den Menschen mit seiner Entsendung auf die Erde übertragen worden und er übernehme für diese, unter Berücksichtigung der Offenbarung, Verantwortung. Aus den islamischen Quelltexten (v.a. 91:9; 3:110; 11:61) wird ersichtlich, dass es sich bei den Angelegenheiten, die in die Verantwortung des Menschen übertragen wurden, insbesondere um folgende drei Dimensionen handelt: 1) das menschliche Innenleben (Psychologie, Spiritualität; 91:9), 2) soziale Angelegenheiten und Beziehungen (muʿāmalāt; 3:110) und 3) die Interaktion zwischen den Menschen und der natürlichen Umwelt (11:61).
„[…] an dem Tag, da weder Besitz noch Söhne (jemandem) nützen, außer, wer zu Allah mit heilem Herz kommt“ (26:88-89).
Auf Grundlage dieses Verses lässt sich argumentieren, dass zumindest für das menschliche Innenleben der Gottesdienst und das Sorgen um das Innenleben als Mittel dafür angedacht sind, das Herz in einen heilen Zustand zu bringen. Der Prozess, das spirituelle Herz im Sinne seiner seelischen Bedeutung in einen heilen Zustand zu bringen, kann als tazkiyya, islamische Spiritualität, verstanden werden. Tazkiyya bedeutet linguistisch zum einen Läuterung/Reinigung und zum anderen Erhöhung/Zunahme. Idiomatisch und fachsprachlich bezieht sich tazkiyya auf die Läuterung der Seele von den Hindernissen, die ihr verwehren, in Harmonie mit ihrer Natur (fiṭra) zu stehen (91:9).
Dieser Referenzrahmen liefert eine Verortung der Psychologie und Spiritualität in einem islamischen Kontext: Sie setzen sich mit dem menschlichen Verstand auseinander, der die primäre Funktion der Handlungskontrolle besitzt, Bewusstsein erzeugt und dessen Sorge in der Verantwortung des Menschen liegt (Öz & Kaplick, 2018).
Wie auch bei anderen Gelehrten finden wir bei Abū Nasr Muhammad al-Fārābī (870-950) kein einzelnes Werk zur Psychologie, Therapie oder Psychiatrie, sondern psychologische Ideen sind über eine Vielzahl von Werken verteilt. al-Fārābī stammte höchstwahrscheinlich aus dem Gebiet der heutigen Türkei und wirkte im heutigen Irak, vor allem in Bagdad, und Syrien. Zu seinen psychologischen Schriften zählen Risāla fī l-ʿaql und Mabādiʾ ārāʾ ahl al-madīna al-fāḍila zum Aufbau der Seele mit aristotelischem Charakter (Haque, 1998; Vahab, 1996). In beiden Werken befasst er sich eingehend mit der Psychologie des Prophetentums und der Vorstellungskraft aus einer kognitiven Perspektive (Nasr & Leaman, 2001). Darüber hinaus war al-Fārābī ein bedeutender Musikwissenschaftler, der sich mit der Musiktherapie auseinander gesetzt hat (Haque, 2004; Husain, 2017). Mit seinem Werk al-madīna al-fāḍila äußerte er sich außerdem zu sozialpsychologischen Aspekten (Achoui, 1998; Düzgüner & Şentepe, 2015; Majeed & Jabir, 2017; Mohammad et al., 2018).
Referenzen
Achaoui, M. (1998). Human Nature from a Comparative Psychological Perspective. The American Journal of Islamic Social Sciences, 15(4), 71-98.
Düzgüner, S., & Şentepe, A. (2015). Characteristic Themes in Psychology of Religion in Turkey: Muslim Thinkers’ Views on Human Psychology and Psychology of Sufism. In Z. Ağilkaya-Şahin, H. Streib, A. Ayten, & R. W. Hood (Eds.), Psychology of Religion in Turkey (pp. 31-50). Leiden, Niederlande: Brill.
Haque, A. (1998). Psychology and Religion: Their Relationship and Integration from Islamic Perspective. The American Journal of Islamic Social Sciences, 15, 97–116.
Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z
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Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry. in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).
Nasr, S. H. & Leaman, O. (2001). History of Islamic philosophy (3rd ed.). London, New York: Routledge.
Rüschoff, S. I. (1992). Zur Bedeutung des islamischen Religionsverständnisses für die psychiatrische Praxis. Psychiatrische Praxis, 19(2), 39-42.
Öz, T., & Kaplick, P. M. (2018). Grundbegriffe eines islamischen Persönlichkeitsmodells: Linguistische, exegetisch-theologische und psychologische Perspektiven. In M. Khorchide & A. M. Karimi (Eds.), Jahrbuch für islamische Theologie und Religionspädagogik – Was ist der Mensch. (pp. 111-145). Münster: Kalam Verlag.
Vahab, A. A. (1996). Section I: An Introduction to Islamic Psychology. In An Introduction to Islamic Psychology. New Delhi: Institute of Objective Studies.