Islamische Therapieformen und Beratungspraxis

Einführende Arbeiten zu islamischen Therapieformen und islamischer Beratungspraxis sind vielfältig erhältlich (z. B. Ashy, 1999; Badri, 1996, 2012, in diesem Band, 2013b; Bar, 1997; Farooqi, 2006; Hamidi, Makwand & Hosseini, 2010; Haque, 1998; Hussain, F. A., 2011; Inayat, 2001; Jafari, 1992; Khalid, 2006; Khalili, 2008; Miryan & Azadboni, 2011; Rassool, 2016; Rizvi, 1989; Rüschoff, 1988, 1992, 2009, 2017; Utz, 2011; Yacoob, 2013; Yousofi, 2011). Zentral hierbei ist – wie Haque et al. (2016, in diesem Band) bereits feststellen – die Entwicklung von Modellen für die klinische Praxis.

Im Bereich der Entwicklung von Modellen scheint ein Großteil der anfänglichen Arbeit darauf ausgerichtet, die etablierten westlichen Therapieschulen zu untersuchen und die islamisch „kompatibelste(n)“ zu finden. Dabei können mindestens drei Arbeitsschritte unterschieden werden. In den meisten Fällen werden:

(1) eine oder mehrere Therapieschulen ausgewählt (z. B. Shah, 2005),

(2) um diese mit islamischen Komponenten zu versehen (z. B. Ali, R., 2007; Henry, 2015)

(3) und für die Anwendung mit Muslimen, für die die Religion eine wichtige Rolle im Leben spielt, möglichst effektiv zu gestalten (z. B. Mir et al., 2015).

Ein prominentes Beispiel dafür ist das islamische Beratungsmodell nach Sabnum Dharamsi und Stephen Abdullah Maynard (Dharamsi & Maynard, 2010). Dieses basiert auf einem personenzentrierten Ansatz und ist durch ein sufisch geprägtes Modell des Selbst ergänzt. Das übergeordnete Ziel des Beratungsprozesses ist laut Dharamsi und Maynard (2012), eine Verbindung mit der göttlichen Realität herzustellen. Dabei stehen zwei Konzepte im Vordergrund: Tarbiyah und Qibla. Tarbiyah beschreibt das Konzept therapeutischer Veränderung, welches die spirituelle Entwicklung des Klienten betont. Qibla beschreibt in diesem Sinne eine Methode, mit der der Berater seinen Glauben und innere Realität in die therapeutische Beziehung einbringt. Dies wird durch Realisierung eines tiefen Verständnisses und Internalisierung der Rolle Gottes im Beratungsprozess erreicht. Für die detailliertere Beschreibung dieses Modells wird Maynard (2008, in diesem Band) in diesem Sammelband vorgestellt, der es in den weiteren Kontext der praktischen Arbeit muslimischer Psychologen in Großbritannien einordnet.

Neben dem personenzentrierten Ansatz nimmt die Diskussion des Gedankengutes von Sigmund Freud und C.G. Jung ebenfalls eine zentrale Rolle ein (z. B. Abu-Raiya, 2014; Ali, A.H., 1995). Daher stellen die in Maynard (2008, in diesem Band) beschriebene Arbeit von Rasjid Skinner, der auf der analytischen  Therapieschule nach C.G. Jung aufbaut und Rabia Malik, die auf die systemische Familientherapie zurückgreift, auch potentielle Modelle dar. Skinners Modell befindet sich aber noch in der theoretischen Ausarbeitung und ist noch nicht publiziert.

Auch ist die Verhaltenstherapie Inhalt vieler Veröffentlichungen (Beshai, Clark & Dobson, 2012; Beshai, Dobson & Adel, 2012; Hamdan, 2008; Husain, A. & Hodge, 2016; Khodayarifard et al., 2007; Mir et al., 2015; Yaacob, 2013). Dabei wird oft Bezug auf die Tradition früher muslimischer Gelehrter genommen, die bereits elementare Grundzüge dieser Therapieschule beschrieben haben sollen (Abdul Razak A.L., Mohamed & Mutiu, 2013; Badri, 1976, 1998, 2013b; Abdullah, C.H., et al., 2012; Haque, 2004, in diesem Band; Rassool, 2016), insbesondere in Bezug auf die Behandlung spezifischer Störungsbilder wie z. B. der Zwangsstörung (z. B. Abdul Razak, A.L., 2014; Abdullah, C.H., et al., 2012; Awaad & Ali, S., 2015, 2016; siehe auch: Masoodi & Maqbool, 2017).

Neben der Modifizierung etablierter Schulen für die Therapie und Beratung, d. h. eine Indigenisierung from without nach Skinner (2015), versuchen andere Autoren, eigenständige islamische Therapie- und Beratungsmodelle zu entwerfen, die islamische Spiritualität in den therapeutischen Prozess inkorporieren (z. B. Ajmal, 1974; Abu-Raiya & Pargament, 2010; Abdul Razak, M.A., Rahman, Hisham & Abdallah, 2011; Abu-Raiya, 2015; Badri, 2000), d. h. eine Indigenisierung from within (Skinner, 2015). In dieser Perspektive sind das Therapiemodell für die Verbesserung der psychischen Gesundheit in einem islamischen Kontext nach Keshavarzi und Haque (2013), die sich zentral am klassischen Gelehrten Abu Hamid Al-Ghazali orientieren, und das islamische Beratungsmodell nach Rassool (2016) zu nennen. Rassool (2016) baut sein Modell auf den Veröffentlichungen von Barise (2005) und Ibn Al-Qayyim Al-Jawziyyah (n. d.), einem klassischen islamischen Gelehrten des 14. Jahrhunderts auf und schlägt unter anderem wichtige Gütekriterien für islamische Beratungsmodelle vor. Rassools Veröffentlichung zur islamischen Beratung (2016) stellt die erste ernst zu nehmende Arbeit zur islamischen Beratungspraxis dar. Weitere Arbeiten greifen spezifische islamische Konzepte heraus und versuchen, darauf basierend eine spirituelle Therapie zu entwickeln. Dies sind beispielsweise die Ibadah-Therapie (Hamjah et al., 2017) oder die momentan in Bearbeitung stehende Sabr-Therapie („Geduldstherapie“; Qasas, in Vorb.), Jihad-Therapie („Strebenstherapie“; Saritoprak & Exline, in Vorb.) oder das prophetische Modell (Lodi, 2018). Letzteres beschreibt zum Beispiel einen therapeutischen Ansatz, der die kognitiven und emotionalen Schemata und Techniken integriert, die vom Propheten Muhammad angewandt wurden.

Nächste Woche beschäftigen wir uns mit kultursensiblen Ansätzen, die von muslimischen Psychologen soweit entwickelt wurden.

Über diese Blogreihe

Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.