Was ist islamisch an einer islamischen Psychologie?

Viele muslimische Psychologen haben das starke Bedürfnis, in Theorien eine islamische Komponente wiederzufinden bzw. zu vermeiden, in ihre psychologische Tätigkeit, sei es in Forschung oder Praxis, nichtislamische Inhalte einzubeziehen. Hier wird ein Bestreben deutlich, die eine universelle islamische Lösung zu finden, die kulturunabhängig und überzeitlich psychologische Probleme erklärt. Tatsächlich jedoch können bei der Formulierung von Theorien kulturelle Vorannahmen, insbesondere das Menschenbild (sic!) betreffend, nicht ausgeschlossen werden. So verdeutlicht Sahin (2013), dass eine islamische Psychologie nie eine offenbarte Wissenschaft der Psychologie, sondern das Verständnis der menschlichen Natur durch einen Muslim darstellt, der durch die islamischen Quelltexte beeinflusst ist. Die Wahrheit liegt nur bei Gott, alle menschliche Einsicht ist letztlich perspektivisch. Daher sind auch in der Religion objektive Erkenntnisse nicht m.glich, sodass i. S. einer Ambiguitätstoleranz mehrere Wahrheiten gleichberechtigt nebeneinander existieren können. Diese Haltung hat in der arabisch-islamischen Welt eine lange Tradition, weicht in der Moderne aber immer mehr dem Streben nach einer vermeintlichen Eindeutigkeit, die die Vielfalt der menschlichen Realität jedoch nicht abbildet, wie Bauer am Beispiel der Qur’an-Exegese überzeugend zeigt (Amirpur, 2016; Bauer, 2011). Daher ist die Vermeidung von Inhalten außerhalb eines direkten islamischen Referenzrahmens häufig aus einem sehr engen Islamverständnis heraus begründet, welches nur das anerkennt, was direkt durch die Quellen belegbar ist. Dazu entgegengesetzt existiert ein anderer Ansatz im Sinne eines umfassenderen Islamverständnisses, der alles, was im Sinne des islamischen Rechts zulässig ist, auch als islamisch betrachtet (Dharamsi & Maynard, 2012, Ramadan, 2001). Ein solches Islamverständnis kann die Literaturlandschaft um Arbeiten mit diversen theoretischen Ansichten bereichern ohne dem Islam zu widersprechen (vgl. auch die Analogie zur islamischen Architektur in: Skinner, 1989, in diesem Band). Daher sind auch in Psychiatrie und Psychotherapie störungsspezifische Behandlungsans.tze m.glich, die zwar nicht das explizite Label „islamisch“ tragen, aber im Sinne eines umfassenden Islamverständnisses dennoch islamisch sind.

Es besteht unter den muslimischen Fachleuten ein dringender Klärungsbedarf über die Verwendung des Adjektives „islamisch“, das nicht nur theologisch unterschiedlich, sondern auch kulturell konnotiert verwendet wird, wie die häufige Gegenüberstellung zu „westlich“ zeigt. Darüber hinaus erfordert die Zusammenarbeit von Theologen, Rechtsgelehrten und Fachwissenschaftlern wie Psychologen und Psychiatern eine Klärung ihrer wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen, die vermutlich einigen Konfliktstoff birgt.

Über diese Blogreihe

Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.