Blogreihe: Islam und Psychologie – Gegenstand und Geschichte – Teil 7
3. Gegenstand der Strömung
Muslimische Psychologen der Gegenwart diskutieren seit 40 Jahren den Gegenstandsbereich einer islamischen Psychologie. Dieser soll im Folgenden in drei Bereichen abgehandelt werden: grundlagenwissenschaftlich orientierte, anwendungsorientierte und praktische Psychologie. Dabei wird grundlagenwissenschaftlich insbesondere Bezug auf die vorgeschlagenen Definitionen des Gegenstandsbereichs der Strömung sowie Schlüsselkonzepte genommen. Die Themen- und Theoriestränge werden zusammen mit wichtigen theoretischen Positionen für den grundlagenwissenschaftlichen und anwendungsorientierten Teil dargestellt, während sich der Abschnitt zur praktischen Psychologie auf die soweit vorhandenen universitären und klinischen Ausbildungsprogramme konzentriert und exemplarisch auf eine der jüngsten Entwicklungen im deutschsprachigen Raum eingeht.
3.1 Grundlagenwissenschaftlich-orientierte Literatur: Das theoretische Fundament
Im Bereich der theoretischen Fundierung einer islamischen Psychologie lässt sich inzwischen eine größere Zahl einführender Schriften ausmachen (z. B. Abdul Razak, M.A., 2011; Abdul Razak, M.A. & Hisham, 2012; Al-Attas, 1990; Ansari, 1992, 2002; Badri, 1979, 2016; Elsdörfer, 2007; Hamid, R., 1977, in diesem Band; Husain, A., 2006; Hussain, S., 1984; Khalili, 2008; Khan, S.H. 1996, in diesem Band; Khatami, 2009; Koshravi & Bagheri, 2006, in diesem Band; Mohamed, 1988; Najati, M.U. 1979; Rezaeitalarposhti & Rezaeitalarposhti, 2013; Siddiqui & Malek, 1996; Skinner, 1989, 2010; Utz, 2011; Vahab, 1996a).
3.1.1 Definitionen
Zu Beginn der Begriffsdiskussion möchten wir eine grundlegende Unterscheidung zwischen islamischer Psychologie und Islam und Psychologie anführen. Die beiden eigenständigen Worte Islam und Psychologie hier als eine zusammenhängende Begrifflichkeit, nämlich als Islam und Psychologie bzw. Islam und Psychologie-Strömung, zu verwenden, mag anfänglich irritierend erscheinen, ist jedoch der thematisch breitgefächerten Natur dieses interdisziplinären Feldes geschuldet. So kristallisierte sich während der letzten Jahre zunehmend heraus, dass eine islamische Psychologie bzw. ein islamischer Psychologieansatz nur eine Arbeitslinie neben weiteren anderen in der Islam und Psychologie-Strömung darstellt. Es wird argumentiert, dass ein „islamischer Filteransatz“ (Badri, 1979) westlich-psychologische Theorien lediglich aus einer islamischen Perspektive betrachtet und damit kaum Relevanz für eine islamisch-begründete Psychologie hat (Kaplick & Skinner, 2017). Somit können unter dem Begriff islamische Psychologie nicht alle Arbeitslinien einer kohärenten und thematisch breitgefächerten Islam und Psychologie-Strömung vereint werden. Die Tatsache, dass bisher keine umfassende Veröffentlichung z. B. in Form eines Lehrbuches zur islamischen Psychologie existiert, welche differenziert verdeutlicht, was islamisch an einer islamischen Psychologie ist, ist ein weiterer Grund, dass einige muslimische Psychologen die Bezeichnung Islam und Psychologie vorziehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Kritik der Verwendung des Begriffs islamische Psychologie keinen konzeptionellen Einwand darstellt und die Möglichkeit der Entwicklung einer islamischen Psychologie nicht kategorisch ausgeschlossen wird.
Da die Differenzierung von Arbeitslinien in der Strömung (islamische Psychologie als eine Arbeitslinie) in der Literatur der letzten 40 Jahre nicht berücksichtigt ist, werden wir im nächsten Blogbeitrag in 2 Wochen die bisher veröffentlichten Definitionen einer islamischen Psychologie in drei Schritten untersuchen und zwar hinsichtlich ihres Verständnisses, was als (1) islamisch und (2) psychologisch gilt und (3) wie man islamisches Gedankengut und psychologische Gegenstandsbereiche miteinander in Verbindung bringen kann und wie dadurch islamisch-psychologische Theorien entwickelt werden können. Dabei wird deutlich, wann es sich tatsächlich um eine islamische Psychologie handeln kann und wann sich die Autoren auf abweichende Arbeitslinien beziehen.
Über diese Blogreihe
Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.