Blogreihe: Islam und Psychologie – Gegenstand und Geschichte – Teil 4
2.2 Muslimische Psychologen der Gegenwart
Die dritte und aktuelle Phase der Wiederbelebung lässt sich speziell für die islamische Psychologie auch als Periode der muslimischen Psychologen der Gegenwart darstellen. Hier lassen sich zwei Arten von Beiträgen unterscheiden: Veröffentlichungen muslimischer Psychologen der Gegenwart und die Etablierung institutioneller Strukturen (Elzamzamy & Patel, in Vorb.).
Veröffentlichungen muslimischer Psychologen der Gegenwart finden sich hauptsächlich in der arabisch- und englischsprachigen Literatur. Zu den wichtigen Publikationen in der arabischen Literatur gehören Die sensorische Wahrnehmung nach Ibn Sina (Najati, M., 1948), Der Mensch zwischen der materiellen Welt und dem Islam (Qutb, 1952), Psychologische Studien der Muslime (Al-Othman, 1962), Die Psychologie des Islams (Al-Ahwani, 1963) und Die prophetische Tradition und die Psychologie (1979) und Der Qur’an und die Psychologie (1982) von Muhammad Uthman Najati. Letzerer gilt dabei als zentraler Vordenker in der arabischen Literatur (Badri, 2000). Eine erste grobe Übersetzung seiner arabischsprachigen Einführung in die islamische Psychologie (Najati, M.U., 2001) ins Englische hat begonnen anekdotisch zu belegen, dass eine gewisse Übereinstimmung der Inhalte von arabischen und englischen einführenden Texten zur islamischen Psychologie besteht (Ali, S., 2009). Najati beginnt seine Arbeit mit der Diskussion verschiedener Ausdrücke und Definitionen wie der Islamisierung der Psychologie, der islamischen Orientierung bzw. Perspektive auf die Psychologie oder auch islamischer Authentifizierung der Psychologie, um das Feld der islamischen Psychologie zu beschreiben. Dies zeigt die Uneinheitlichkeit in der verwendeten Terminologie, die verschiedenen Beschreibungen werden hier im Abschnitt der Gegenstandserläuterung näher beleuchtet. Auch betrachtet Najati (2001) erkenntnistheoretische Grundlagen zum Verständnis einer islamischen Psychologie, präsentiert einen Plan zur langfristigen Etablierung einer islamischen Psychologie und schließt mit einer Kritik der westlichen Psychologie ab. Eine systematische Sichtung und Erschließung der arabischsprachigen Arbeiten steht allerdings aus.
In der englischsprachigen Literatur ist die Arbeit The Dilemma of Muslim Psychologists von Malik Badri (1979) der zentrale Referenzpunkt für den Beginn einer theoretischen Auseinandersetzung (Moughrabi, 2000, in diesem Band; Kaplick & Skinner, 2017). Somit ist festzuhalten, dass die arabische Literatur sich in ihren Anfängen bereits 30 Jahre früher mit Inhalten einer islamischen Psychologie auseinanderzusetzen begann. Genauso wie muslimische Psychologen der Gegenwart auf den frühen muslimischen Gelehrten wie z. B. Al-Ghazali aufbauen, finden sich auch Texte dieser Psychologen, die auf Gelehrten der dritten Phase der Wiederbelebung aufbauen. So spielen z. B. Muhammad Iqbal (Abdul Razak, M.A., 2013, 2014) oder auch Said Nursi (Tekke & Watson, 2017) eine Rolle in der Literatur.
Strukturell lassen sich Vereinigungen und Fachzeitschriften unterscheiden. Zu den Pionierarbeit leistenden Institutionen gehören die amerikanische Association of Muslim Social Scientists (gegr. 1972; seit 2013 bekannt als North American Association of Islamic and Muslim Studies), die marokkanische Islamic Educational, Scientific and Cultural Organization (gegr. 1979), das in Amerika ansässige und bis heute wirkende International Institute of Islamic Thought (gegr. 1981) mit der assoziierten Fachzeitschrift The American Journal of Islamic Social Sciences, die saudische The Saudi Association of Educational and Psychological Studies (gegr. 1985), die in Malaysia etablierte, jedoch kaum noch aktive International Association of Muslim Psychologists (gegr. 1997)* und die noch bis vor 10 Jahren tätige World Islamic Association for Mental Health (gegr. 1983; Elzamzamy & Patel, in Vorb.; Kaplick & Skinner, 2017). Die American Arab, Middle Eastern, and North African Psychological Association wurde im August 2017 gegründet und tritt als erster Vertreter amerikanisch-arabischer Psychologen auf, deren Community auch ein Interesse an islamischen Inhalten pflegt (Amer & Awad, 2016). Eine Übersicht der Organisationen, die insbesondere in den letzten 10 Jahren gegründet wurden, findet sich für den amerikanischen und britischen Raum bei Kaplick & Rüschoff (2018) und für den indischen Subkontinent bei Kaplick (2018).
Fachzeitschriften umfassen das ägyptische Journal of the Contemporary Muslim Organization, The Arab Gulf Journal, die amerikanischen Zeitschriften Journal of Muslim Mental Health (erscheint seit 2006 halbjährlich und ist seit 2011 open access), The American Journal of Islamic Social Sciences (erscheint seit 1984 vierteljährlich; Kaplick & Skinner, 2017; Kaplick & Rüschoff, 2018) und die halbjährlich in der Türkei erscheinende Zeitschrift Spiritual Psychology and Counseling (SPC). Das seit 2007 ebenfalls halbjährlich herausgegebene iranische Journal of Studies in Islam and Psychology ist bedauerlicherweise nur auf persisch verfügbar. Die Initiierung einer akademischen, internationalen, englischsprachigen Fachzeitschrift zur islamischen Psychologie befindet sich gelegentlich in Diskussion. Es besteht allerdings eine gewisse Skepsis, ob bei Einhaltung grundlegender akademischer Standards trotz niedriger Veröffentlichungsfrequenz ausreichend Literatur publikationsfähig sein wird.
*Anmerkung: Seit Veröffentlichung haben sich neue Entwicklungen bei der IAMP ergeben, u.a. wurde im Dezember 2019 erstmalig das International Journal of Islamic Psychology herausgegeben. Ebenso sollten die im Oktober 2018 auf der ersten Tagung der IAIP in Istanbul vorgestellten Beiträge Mitte 2019 als erste Ausgabe des Journals der IAIP herausgegeben werden, dazu ist es jedoch bisher nicht gekommen.
In 2 Wochen beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Faktoren das gegenwärtig wachsende Interesse an einer islamischen Psychologie motivieren könnten.
Über diese Blogreihe
Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.