Im letzten Beitrag dieser Blogreihe möchten wir die Situation der Netzwerke muslimischer Psychologen in Deutschland reflektieren.

In den späten 1980er und den 1990er Jahren wurde viel Arbeit zur psychosozialen Versorgung von Muslimen und mitunter zur Entwicklung eines Muslim Mental Health-Ansatzes geleistet (z. B. Gründung der Islamischen Arbeitsgemeinschaft für Sozial- und Erziehungsberufe, IASE e. V. 1988). Neuerlich scheint die Arbeit zum Muslim Mental Health-Ansatz, aber auch zu Islam und Psychologie wieder verstärkt an Interesse zu gewinnen. Dies ist ebenfalls bemerkbar durch die letzten zwei Fachtagungen der IASE 2015, welche durch die Initiative einer neuen Generation muslimischer Psychologen/Psychologiestudenten und Sozialarbeiter wieder stattfanden. Insbesondere auf der ersten Fachtagung wurde das starke Interesse der neuen Generation an Islam und Psychologie deutlich, welches nach unserer Einschätzung über den klinischen Anwendungsbereich hinaus Rezeption finden muss. Weiterhin besteht auch zum Zwecke der Theoriearbeit ein großes Bedürfnis nach Vernetzungsarbeit.

Die Situation in Deutschland scheint sowohl in Bezug auf die Etablierung des Muslim Mental Health-Ansatzes (25-jährige praktische Erfahrung) als auch die Nachfrage und das zunehmende Interesse an Theorien und Konzepten von Islam und Psychologie Gemeinsamkeiten mit den Entwicklungen in Großbritannien und Amerika aufzuweisen. Dennoch befinden sich deutsche muslimische Psychologen vor allem auf der Ebene der theoretischen Durchdringung noch nicht auf dem britischen oder amerikanischen Entwicklungsstand. Die geringe Zahl der deutschen theoretisch-konzeptionellen Publikationen zu Islam und Psychologie und nur vereinzelt vorhandenen institutionellen Strukturen machen das deutlich.

In der gegenwärtigen Situation erscheint es dagegen als wenig hilfreich, eine neue Instanz speziell für islamisch-orientierte Psychologen ins Leben zu rufen. In Hinblick auf die wenigen Fachkräfte wäre eine weitere Aufgliederung kontraproduktiv. Auch sind die Beiträge anderer Berufsgruppen im Kontext klinischer Konzepte zu wichtig. So fehlt einer derartigen Vereinigung noch das theoretische Gebilde, dessen Repräsentation eine Schlüsselfunktion sein sollte (vgl. Association of Islamicallyoriented psychological therapists, AIOPT). Eine signifikante Rolle sollte dabei auch der Einbindung der islamischen Theologie zukommen. Des Weiteren können das RAMSA Netzwerk für muslimische PsychologInnen und das Netzwerk muslimischer Sozialarbeiter (Nemus) eine Rolle in der Netzwerkarbeit und bei Kollaborationen für Forschungsprojekte spielen.

Deutsche muslimische Psychologen können bei der Weiterentwicklung des theoretischen Verständnisses von Islam und Psychologie auf einer institutionell- strukturellen Ebene sehr von den Erfahrungen britischer und amerikanischer Kollegen profitieren. Dabei ist diese Arbeit ein erster Versuch, neben Gründen der internationalen Vernetzung und der Bekanntmachung britischer und amerikanischer Strukturen im deutschsprachigen Raum eine Grundlage für die kontinuierliche Entwicklung und Reflexion deutscher Strukturen zu schaffen und die Weiterentwicklung des theoretischen Verständnisses von Islam und Psychologie voranzubringen. Diese erste Einschätzung der deutschen Strukturen gibt eine Vorstellung davon, welche wichtigen Schritte in den letzten 25 Jahren in Deutschland getan wurden, aber auch, welche Entwicklungen in Zukunft zur Unterstützung der Theorieentwicklung initiiert werden könnten. Die Bedeutung grundlegender Theoriearbeit und die Gestaltung von nationalen und regionalen Zusammenschlüssen aus den existierenden Strukturen, zählen zu den wichtigsten Ansatzpunkten.

Quelle der Originalveröffentlichung (siehe auch für Quellennachweise):

Kaplick, P. M., & Rüschoff, I. (2018). Islam und Psychologie in Großbritannien, den USA und Deutschland. Wege zum Menschen70(1), 78-88. doi:10.13109/weme.2018.70.1.78