Mit dem Namen ALLAHs, des Barmherzigen, des Allerbarmers, bismi ʾllāhi ʾr-raḥmāni ʾr-raḥīm

Kategorie: Allgemein

  • IASE Tagungsbeitrag 1998: Aspekte psychosozialer Beratung von Muslimen in der Schule

    Aus der Schatzkiste. Die Wenigsten wissen, dass die IASE seit den 1980er Jahren existiert. Wir haben alte Tagungsbeiträge ausgesucht, um sie wöchentlich hier zu posten. Viel Vergnügen beim Lesen.


    Asiye Köhler

    1          Allgemeines

    Ich möchte mich zuerst kurz vorstellen: Ich bin türkischer Abstammung, habe jedoch die meiste Zeit meines Lebens in Deutschland gelebt. Nach dem Studium in Ankara kam ich auf Einladung des DAAD nach Deutschland und bin nach einer kurzen Zeit der Selbständigkeit seit vielen Jahren als Lehrerin an einer Grundschule und jetzt an einem Gymnasium tätig.

     

    2         Konfliktfelder in der Schule bzw. der Jugendlichen

    Die wichtigsten Konfliktfelder in der Schule liegen im Bereich der unterschiedlichen Nationalitäten sowie Religionen (z.B. Alewiten, Sunniten). Hier will ich beispielhaft auf einen weiteren Bereich eingehen, den der Begegnung der Geschlechter.

     

    2.1       Geschlechtliche Konfliktfelder

    Es kommt immer wieder vor, dass zwei muslimische Jugendliche eine Liebesbeziehung beginnen. Wenn die Eltern davon erfahren, bricht für diese zumeist eine Welt zusammen. Oft sind es die Mütter, die verzweifelt beim Lehrer erscheinen und ihn drängen, aktiv einzugreifen und die Beziehung zu beenden. Wenn der Mann davon erführe, gebe es ein Familiendrama. Diese Konflikte haben gelegentlich dramatische Entwicklungen bis hin zum Suizidversuch. Beratung im engeren Sinne erfolgt hier nicht, auch weil die beteiligten Jugendlichen nicht gesprächsbereit sind. Überhaupt scheint auf Seiten der Eltern als auch der Kinder oft wenig Bemühen um ein gegenseitiges Verständnis, die Differenzen zwischen den Lebenswelten der Jugendlichen und der Eltern scheinen unüberbrückbar. Verbote der Eltern ohne gleichzeitiges Angebot von Alternativen tragen zur Verschärfung der Situation bei.

    Besonders bei Beziehungen zwischen muslimische Jugendlichen aus strengen Elternhäusern fällt im Vergleich zu deutschen immer wieder eine gewisse Maßlosigkeit und übersteigerte Leidenschaft auf. Selbst Hausmeister und Reinigungskräfte in den Schulen berichten immer wieder von Vorkommnissen auf Toiletten und in leeren Klassenzimmern am Nachmittag, die selbst nach „deutschen“ Maßstäben problematisch sind. Die Gründe hierfür sind vielfältig und können hier nicht im einzelnen diskutiert werden.

     

    3          Möglichkeiten der Beratung

    Eine schnelle und erfolgreiche Beratung von Schülern und Eltern sehen sich großen Hindernissen gegenüber. So scheinen viele Eltern keinen besonderen Wert auf eine Beratung durch den Lehrer zu legen. Nehmen sie einmal Kontakt auf, so bestehen sie häufig auf einem unverrückbar vorgefaßten Lösungsweg, der zumeist nur die abrupte Beendigung der Beziehung ihres Kindes als einzige Maßnahme akzeptiert. Hierbei versuchen sie oft, den Lehrer in ihrem Sinne zu instrumentalisieren.

     

    4          Maßnahmen

    Die vordringlichste Maßnahme ist der Versuch, eine regelmäßige Elternarbeit aufzubauen. Hier bestehen neben einem weitreichenden Desinteresse der Eltern weitere Probleme: Türkische Lehrer an den Schulen sind sehr um ihr westliches Profil bemüht und zeigen häufig eine deutliche, teilweise sogar aggressive Ablehnung des Islam. Doch auch bei den nichtmuslimischen Kollegen fehlt die notwendige Sensibilität gegenüber islamischen Belangen. Dass Fragen des Kopftuches oder eines getrenntgeschlechtlichen Schwimm- und Sportunterrichtes immer wieder mühsam geklärt werden müssen, ist ein Zeichen dafür. Nur selten fragen Lehrer Kinder ihrer Klasse von sich aus nach ihren Bedürfnissen als Muslime und signalisieren damit eine grundsätzliche Akzeptanz von Anderssein.

    Einer wichtige Maßnahme von grundsätzlicher Bedeutung ist die Einführung eines islamischen Religionsunterrichtes als Beitrag zu einer ethischen Erziehung der Kinder, der identitätsstiftend wirkt und viele Probleme bereits im Ansatz verhindern hilft.

  • IASE Tagungsbeitrag 1998: Psychologische Beratung für Muslime und ihre Angehörigen

    Aus der Schatzkiste. Die Wenigsten wissen, dass die IASE seit den 1980er Jahren existiert. Wir haben alte Tagungsbeiträge ausgesucht, um sie wöchentlich hier zu posten. Viel Vergnügen beim Lesen.


    Malika Laabdallaoui

    Vor etwa einem Jahr habe ich angefangen, im Islamischen Bildungs- und Informationszentrum (Ibiz) in Mainz psychologische Beratung für Muslime und ihre Angehörige anzubieten. Ich mußte die verantwortlichen Geschwister erst davon überzeugen, dass ich für dieses Angebot keine Gegenleistung verlange und dass sie keinen Schaden davon haben. Ich selbst habe dadurch Gelegenheit, praktische Erfahrungen in der Beratung und Therapie von Muslimen zu sammeln.

    Die Nachfrage ist groß. Den Muslimen fällt es leichter, in eine islamische Einrichtung zu kommen, wenn sie wissen, dass es jemand gibt, der sie in ihrer religiösen und traditionellen Erlebniswelt verstehen kann. Einige sagen, sie seien froh, nicht viel von ihrem Glauben erzählen zu müssen, um verstanden zu werden.

    Es ist mir wichtig, dass das Zentrum relativ unabhängig ist, also keiner Moschee und auch keiner deutschen Institution angeschlossen ist.

    Als ich diese Arbeit begann, dachte ich eher an alltägliche Probleme wie Erziehungsprobleme, Schwierigkeiten in der Ehe, Schulprobleme usw. Ich mußte jedoch feststellen, dass sich Muslime wegen solcher Schwierigkeiten, mit denen deutsche Familien oft in die Beratungsstelle kommen, kaum Hilfe holen. Es scheint, dass bei Muslimen die Probleme schon sehr groß sein müssen, bevor sie mit Dritten darüber sprechen können. Diese Arbeit hat mir erst bewußt gemacht, wie belastet unsere muslimischen Familien oft sind und wie groß die Ausweglosigkeit dort sein kann. Es kommen Menschen, vor allem Frauen und junge Mädchen, mit Schwierigkeiten und Schicksalen, mit denen ich erst lernen mußte umzugehen. Sie reichen von Selbstmordversuchen, sexuellem Mißbrauch durch Familienangehörige und nichtehelichen Intimbeziehungen bis hin zu Mordversuchen durch den Ehemann. Zur Verdeutlichung möchte ich drei Beispiele aus unterschiedlichen Problembereichen bringen:

     

    Fallbeispiel 1:

    So erzählte eine junge Frau, Tunesierin:

    „Als wir geheiratet haben, hat mein Mann gesagt, wenn du nicht gleich schwanger wirst, bringe ich dich um und heirate eine andere. Er sagte, er würde mich zerstückeln, in blaue Säcke verpacken und in den Müll werfen. Er schlug mich jeden Tag. Als ich schwanger wurde, wollte er, dass ich das Kind ab-treiben lasse, da er sich nicht durch ein Kind an mich binden lassen wolle. Da meine Furcht vor Allah größer ist, weigerte ich mich. Er schlug jeden Tag auf mich ein. Manchmal kam er in der Pause von der Arbeit, verprügelte mich und ging wieder. Außer seiner Familie kenne ich niemanden hier in Deutschland. Ich lebe seit einem Jahr hier, durfte aber nie aus der Wohnung gehen. Er schließt immer die Tür ab, wenn er geht. Ein Telefon haben wir nicht. Als ich schwanger wurde, brachten sie mich zum Arzt. Zu Hause zerriß er den Mutterpaß und sagte, ich brauche ihn sowieso nicht, denn ich würde vorher sterben. Ein mal kam er wieder in der Pause von der Arbeit und sagte: „Du wirst heute sterben! Ich bringe dich um.“ Er schlug mich zu Boden, trat mit den Füßen in meinen Bauch und schlug auf mich so lang ein, bis ich glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Nach einiger Zeit hörte er auf mit der Begründung, dass er wieder zur Arbeit gehen müsse, sonst wurde er mich gleich erledigen. Aber er werde zurück kommen. Als er weg war sprang ich aus dem Fenster und ging zu einer Nachbarin, die ich vorher aus dem Fenster als Tunesierin erkannt habe und bat sie, mich telefonieren zu lassen. Ich rief meine Schwiegermutter an und erzählte ihr, was passiert war und dass ich nicht bei ihrem Sohn bleiben kann. Ich hatte unheimliche Angst. Als sie kam, schlug sie mich vor der Nachbarin ins Gesicht. Sie regte sich darüber auf, dass ich zu einer fremden Frau gegangen war, aber ich hatte keine andere Wahl. Anschließend brachte mich die Familie in eine Wohnung, die meine Schwägerin wohl angemietet, aber nicht renoviert und eingerichtet hatte. Ich bekam dort eine Matratze, Decke und Kissen. Zum Essen brachten sie mir alle zwei Tage einen Fladen Brot. Ich wurde immer schwächer und wurde dann so krank, dass mich die Schwiegermutter doch zum Arzt brachte. Als sich der Arzt darüber aufregte, dass ich nicht zu den Untersuchungen kam, sagte sie, ich wäre die ganze Zeit in Tunesien gewesen. Da das Kind sich nicht altersgemäß entwickelt hatte, sollte ich viel liegen und mich schonen. Sie (die Schwiegermutter) nahm mich dann mit in ihre Wohnung und ließ mich dort ununterbrochen arbeiten. Obwohl sie bis dahin mit der Waschmaschine gewaschen hatte, mußte ich mit der Hand für die ganze Familie waschen. Oft nahm sie saubere Wäsche aus dem Schrank und zwang mich, sie noch mal waschen und zu bügeln.

    Als ich zur Entbindung ins Krankenhaus kam, besuchte mich mein Mann ein einziges mal. Er sprach kein Wort mit mir, sah sich das Kind an, redete mit der Krankenschwester und ging. Ich schämte mich sehr vor meinen Zimmernachbarinnen. Nach der Entbindung kam ich wieder zur Schwiegermutter, wo ich wieder die ganze Hausarbeit übernehmen mußte. Ich hätte so gerne mein Kind gestillt, aber ich durfte nicht, denn es sollte sich nicht an meine Milch gewöhnen. Essen durfte ich außer Brot und Kaffee nichts, damit sich die Milch nicht entwickelt. Einmal mußte ich einen schlecht gewordenen Eintopf essen. Sie haben mich dazu gezwungen. Ich habe heute noch Magenschmerzen davon. Einmal hatte ich gekocht. Wie so oft nahmen sie auch diesmal das Essen und gingen in meine Wohnung. Mir ließen sie wie immer nichts zurück und schlossen die Tür ab. Später kam dann mein Schwiegervater von der Arbeit und vergaß die Tür hinter sich abzuschließen. Als er ins Bad ging, nahm ich das Kind und rannte raus.“

    Draußen klingelte die junge Frau bei Nachbarn, die die Polizei holten, die sie anschließend in ein Frauenhaus brachte. Weil sie kaum Deutsch spricht, war ich die erste Person, der sie sich anvertrauen konnte. Ich bewundere an diese Frau ihren starken Glauben, den sie in dieser ganzen Misere nie verloren hat und der ihr geholfen hat, nicht den Verstand zu verlieren.

    Dieser Fall ist sicherlich nicht die Regel, doch kommt Gewalt sehr oft in muslimischen Familien vor. Häufig nutzen die Männer die hilflose Situation der Frauen schamlos aus.

     

    Fallbeispiel 2:

    Ein junges türkisches Mädchen erzählt, dass sie und ihre Schwester als Kinder jahrelang von ihrem Onkel sexuell mißbraucht wurden. Sie durften nichts davon sagen. Als sie mit 15 Jahren doch den Mut aufbrachte, es der Mutter zu erzählen, glaubte diese ihr nicht und bestrafte sie für ihre Lüge. Seitdem hat sie das Vertrauen in die Mutter ganz verloren, und die Sache mit dem Onkel wurde vergessen.

    Das Mädchen hat jetzt ein gestörtes Verhältnis zu sich selber und würde am liebsten sterben. Einen Selbstmordversuch mit Tabletten hat sie bereits unternommen. Obwohl sie, wie sie erzählt, betet und fastet, ist ihr Glaube zutiefst erschüttert.

    Zu Beginn meiner Arbeit war es für mich unvorstellbar, dass regelmäßig betende und fastende Muslime Ehebruch begehen, aber auch das kommt vor.

     

    Fallbeispiel 3:

    Eine Frau, die ganz normal mit ihrem Mann und ihren 2 Kindern lebt, hatte über 5 Jahre eine Beziehung zu dem  Freund ihres Mannes. Die beiden Männer wiederum gehen regelmäßig zusammen in die Moschee um zu beten. Weil sie dieses Doppelleben nicht mehr ertragen konnte und sich dies auf ihre psychische Gesundheit auswirkte, kam sie in die Beratung.

    Die Beispiele können beliebig fortgeführt werden. Ich habe absichtlich die schwierigeren Beispiele gewählt, um zu zeigen, was sich in muslimischen Familien abspielen kann und wie groß der Bedarf an fachlicher Unterstützung ist. Da ich die psychischen Belastungen der Sitzungen noch in deutlicher Erinnerung habe, möchte ich hier die Notwendigkeit von begleitender Supervision oder Balintgruppen für die Berater betonen.

    Zum Teil auf dieser Arbeit basierend hat sich ein Projekt in der städtischen Erziehungsberatungsstelle entwickelt. Dort besteht zwar die Möglichkeit eines fachlichen Austausches mit Kollegen, jedoch ersetzt diese nicht die Zusammenarbeit mit muslimischen Fachleuten. Ich muß klären, wie ich als Muslimin und meinen Wertvorstellungen mit dem Erlebten aus den Sitzungen umgehe.

    Wichtig ist, dass wir als Muslime irgendwo anfangen, in der Moschee, in einem Verein oder an anderen, vielleicht auch nichtmuslimischen Stellen. Mit unserer Arbeit können wir deutlich machen, dass Muslime muslimische Berater brauchen und dass sie mit ihren Problemen eher zu Glaubensgeschwistern gehen. Ist die Arbeit erfolgreich, gelingt es vielleicht, das Interesse eines Vereins oder der Stadtverwaltung zu wecken und eine Beratung für Muslime vielleicht in einen bestehenden sozialen Dienst zu integrieren.

    Das Ziel muß sein, dass wir als Muslime sichtbare, qualifizierte psychosoziale Arbeit leisten, die öffentliche und evtl. finanzielle Anerkennung bekommt.

  • IASE Tagungsbeitrag 1998: Die Rolle der Imame in der psychosozialen Beratungsarbeit von Muslimen

    Aus der Schatzkiste. Die Wenigsten wissen, dass die IASE seit den 1980er Jahren existiert. Wir haben alte Tagungsbeiträge ausgesucht, um sie wöchentlich hier zu posten. Viel Vergnügen beim Lesen.


    Nigar Yardim

    Meine eigenen Erfahrungen basieren auf dem Erlebnis der 15-jährigen Arbeit meines Vaters in einer Duisburger Moschee als deren Imam und auf meinen persönlichen Erfahrungen seit neuerdings 4 Jahren in einer Moschee mit jungen Frauen und Mädchen.

    Die Ausgangssituation

    • Für die nach Deutschland immigrierten Muslime waren und sind die Moschee bzw. der oder die Gelehrte in den Moscheen wichtige Anlaufpersonen bezüglich sozialer Probleme, die besonders auch im Zusammenhang mit der Migration entstanden und zu sehen sind.

    • Die ersten Personen, die sich mit der Frage der religiösen Bildung der Nachfolgegenerationen beschäftigten, waren wie mein Vater Gastarbeiter, die nach der Arbeit Koranunterricht erteilten bzw. das Gebet leiteten.
    • Es entwickelte sich in der Gemeinde eine Art „Gemeinschaftsverantwortung“ der Mitglieder untereinander sowie auch eine „soziale Kontrolle“.
    • Das führte in manchen Fällen zu Konflikten, in der Regel wurde hierbei die Hilfe des Hodschas gesucht.
    • Die Anforderungen durch die veränderte Umstände im langjährigen Zusammenleben mit der deutschen /christlich geprägten Gesellschaft führten in den Moscheen ebenfalls zu Veränderungen: Es sollten Imame eingestellt werden, die deutsch sprechen und möglichst hier aufgewachsen sind. (Man kann in gewissem Sinne sogar von Glück reden, dass die Türkei und Deutschland ein Abkommen unterzeichneten, wonach nur vom Staat gestützte Einrichtungen Imame aus der Türkei holen durften, so dass die nichtstaatlichen religiösen Organisationen in Deutschland geradezu gezwungen waren, eigenen Nachwuchs auszubilden). Doch auch bei DITIP als staatlicher Institution gab es einen Strukturwandel: Die Imame sollten deutsch lernen, bevor sie nach Deutschland kommen.

    Die soziale Funktion eines Imams damals und heute

    Insbesondere Türken sind es gewohnt, bei fast allen den Alltag betreffenden Angelegenheiten einen Imam zu fragen um sie somit „absegnen“ zu lassen. Das ist z.B. der Fall wenn

    • ein Kind geboren wird und man einen guten Namen sucht,
    • jemand um die Hand der Tochter bittet,
    • jemand für die heiratsfähigen Söhne und Töchter einen Partner sucht,
    • der Sohn im Gefängnis sitzt und man zu stolz ist, ihn zu besuchen,
    • sich jemand gezwungen sieht, eine Person zu heiraten, die man nicht möchte (hier fungiert der Hodscha als Verbündeter),
    • ein Beruf gewählt werden soll,
    • wichtige geschäftliche Entscheidungen getroffen werden müssen.
    • Nicht selten muß der Imam vermitteln, wenn zwischen den Eltern und den Jugendlichen keine Gespräche möglich sind.
    • Wie weit der Hodscha hier qualifiziert Rat und Hilfe zu geben vermag, ist abhängig von seinen menschlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch von seiner Interessenlage. So fühlt sich der eine verantwortlich für alle Belange der Gemeinde, während der andere seine Aufgaben lediglich in der Verrichtung religiöser Tätigkeiten sowie Koranunterricht und Freitagspredigt sieht.

    Veränderungen in der zweiten Generation

    Mit dem Generationswechsel in den Gemeinden beobachten wir, dass in den letzten Jahren der Dialog zwischen den Mitgliedern und dem Hodscha wieder intensiver geworden ist. Eine spürbare Veränderung entstand auch dadurch, dass die berufstätigen Hodschas, die nach der Schicht in die Moschee gingen und sich der Gemeindearbeit widmeten, von den Hauptamtlichen abgelöst wurden.

    Mittlerweile bemühen die Hodschas Gemeindemitglieder in den Moscheen, die bei sozialen Belangen als Ansprechpartner mitarbeiten. Es gibt allerdings immer noch Schwierigkeiten: Insbesondere im Umgang mit Jugendlichen sind die meisten überfordert, sie erreichen zwar eine bestimmte Gruppen (die in die Moschee kommen), doch zu großen Teilen der Jugendlichen ist mit den bisherigen Methoden kein Zugang möglich. Häufig werden Möglichkeiten und Methoden der Jugendarbeit im Gespräch mit den Kirchen thematisiert.

    Die Ansprüche der Gemeinden sind größer geworden, viele beschäftigen sich intensiv mit Fragen ihrer Minderheitensituation in einer christlich geprägten Gesellschaft. Sie hinterfragen herkömmliche Lehr-methoden in den Koranschulen wie auch das Verhältnis zwischen Gemeinde und Hodscha mit den tra-ditionellen Aufgabenbereichen, Zuständigkeiten und Umgangsformen.

    Die Themen der Predigten sind ausgeprägter und detaillierter, Hodschas müssen sich mehr mit kritischen Fragen beschäftigen, wozu ihr Wissen nicht immer ausreicht.

    Die Bedeutung des Koranunterrichts hat sich verlagert: Während früher fast ausschließlich religiöse Wissensvermittlung gewünscht war, hat heute der Koranunterricht als Ort der Beratung und Unterstützung in vielen Alltagsfragen an Bedeutung gewonnen, die je nach LehrerIn mehr oder weniger erfolgreich ist.

    Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Bereich psychosozialer Beratung durch die sich veränderte Situation bei den Hodschas durchaus ein Bedarf an fachlicher Hilfe besteht, wie auch eine erste kurze Umfrage gezeigt hat. Hier ist besonders die Jugendarbeit zu nennen, wo bestimmte Gruppen muslimischer Jugendlicher mit den bisherigen Methoden nicht mehr erreicht werden, zumal während der Ausbildung der Hodschas diese Fragen nahezu keine Rolle gespielt haben. Hier müssen zukünftig sicherlich Änderungen erfolgen.

    Psychosoziale Beratungsstellen in den Moscheen selbst einzurichten, halte ich für sehr schwierig, da die Schwellenangst für viele zu groß ist. Sinnvoller sind neutrale Stellen, die eng mit den Hodschas und den Moscheen zusammenarbeiten.

  • Blogreihe: Die Terra Incognita der islamischen Psychologie – Woche 6

    Philosophische Psychologie, Philosophie des Geistes, Sozialpsychologie, Träume

    Das islamische Verständnis des Gottesdienstes ist weiter gefasst als die bloße Durchführung religiöser Rituale. Glaube und Handlung können in alle Bereiche der menschlichen Existenz einbezogen werden, denn kein privater noch öffentlicher Aspekt des Lebens ist zu gering, um nicht in einen Gottesbezug gebracht zu werden. Das islamische Verständnis von Gottesdienst ist, Kongruenz zwischen der menschlichen Natur (fiṭra), wie sie von islamischen Quelltexten beschrieben wird, und dem menschlichen Erleben und Verhalten herzustellen – auch unter Rückgriff auf die ihn umgebende Umwelt, die ihm zur Erfüllung seiner Existenzfunktion dienstbar gemacht wurde (45:13) (Rüschoff, 1989; Öz & Kaplick, 2018).

    Das arabische Wort für die Statthalterschaft des Menschen (ḫilāfa) entstammt der Wortwurzel ḫ-l-f und bezieht sich lexikalisch betrachtet auf Austausch, Substitution, Mandat oder auch Delegation. In der islamischen Theologie wird das Konzept der Statthalterschaft dahingehend verdeutlicht, dass es sich um die Delegierung von Verantwortung für Aufgaben handele, die zunächst Gottes Aufgaben waren (32:5). Diese seien jedoch an den Menschen mit seiner Entsendung auf die Erde übertragen worden und er übernehme für diese, unter Berücksichtigung der Offenbarung, Verantwortung. Aus den islamischen Quelltexten (v.a. 91:9; 3:110; 11:61) wird ersichtlich, dass es sich bei den Angelegenheiten, die in die Verantwortung des Menschen übertragen wurden, insbesondere um folgende drei Dimensionen handelt: 1) das menschliche Innenleben (Psychologie, Spiritualität; 91:9), 2) soziale Angelegenheiten und Beziehungen (muʿāmalāt; 3:110) und 3) die Interaktion zwischen den Menschen und der natürlichen Umwelt (11:61).

    „[…] an dem Tag, da weder Besitz noch Söhne (jemandem) nützen, außer, wer zu Allah mit heilem Herz kommt“ (26:88-89).

    Auf Grundlage dieses Verses lässt sich argumentieren, dass zumindest für das menschliche Innenleben der Gottesdienst und das Sorgen um das Innenleben als Mittel dafür angedacht sind, das Herz in einen heilen Zustand zu bringen. Der Prozess, das spirituelle Herz im Sinne seiner seelischen Bedeutung in einen heilen Zustand zu bringen, kann als tazkiyya, islamische Spiritualität, verstanden werden. Tazkiyya bedeutet linguistisch zum einen Läuterung/Reinigung und zum anderen Erhöhung/Zunahme. Idiomatisch und fachsprachlich bezieht sich tazkiyya auf die Läuterung der Seele von den Hindernissen, die ihr verwehren, in Harmonie mit ihrer Natur (fiṭra) zu stehen (91:9).

    Dieser Referenzrahmen liefert eine Verortung der Psychologie und Spiritualität in einem islamischen Kontext: Sie setzen sich mit dem menschlichen Verstand auseinander, der die primäre Funktion der Handlungskontrolle besitzt, Bewusstsein erzeugt und dessen Sorge in der Verantwortung des Menschen liegt (Öz & Kaplick, 2018).

    Wie auch bei anderen Gelehrten finden wir bei Abū Nasr Muhammad al-Fārābī (870-950) kein einzelnes Werk zur Psychologie, Therapie oder Psychiatrie, sondern psychologische Ideen sind über eine Vielzahl von Werken verteilt. al-Fārābī stammte höchstwahrscheinlich aus dem Gebiet der heutigen Türkei und wirkte im heutigen Irak, vor allem in Bagdad, und Syrien. Zu seinen psychologischen Schriften zählen Risāla fī l-ʿaql und Mabādiʾ ārāʾ ahl al-madīna al-fāḍila zum Aufbau der Seele mit aristotelischem Charakter (Haque, 1998; Vahab, 1996). In beiden Werken befasst er sich eingehend mit der Psychologie des Prophetentums und der Vorstellungskraft aus einer kognitiven Perspektive (Nasr & Leaman, 2001). Darüber hinaus war al-Fārābī ein bedeutender Musikwissenschaftler, der sich mit der Musiktherapie auseinander gesetzt hat (Haque, 2004; Husain, 2017). Mit seinem Werk al-madīna al-fāḍila äußerte er sich außerdem zu sozialpsychologischen Aspekten (Achoui, 1998; Düzgüner & Şentepe, 2015; Majeed & Jabir, 2017; Mohammad et al., 2018).

    Referenzen

    Achaoui, M. (1998). Human Nature from a Comparative Psychological Perspective. The American Journal of Islamic Social Sciences, 15(4), 71-98.

    Düzgüner, S., & Şentepe, A. (2015). Characteristic Themes in Psychology of Religion in Turkey: Muslim Thinkers’ Views on Human Psychology and Psychology of Sufism. In Z. Ağilkaya-Şahin, H. Streib, A. Ayten, & R. W. Hood (Eds.), Psychology of Religion in Turkey (pp. 31-50). Leiden, Niederlande: Brill.

    Haque, A. (1998). Psychology and Religion: Their Relationship and Integration from Islamic Perspective. The American Journal of Islamic Social Sciences15, 97–116.

    Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

    Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hdyerabad, Indien: Centre for Study and Research.

    Majeed, A. & Jabir, K. P. (2017). The Contribution of Muslims and Islamic Concepts: Rethinking and Establishing the Actual Origin of Concepts and Thought in Psychology. The International Journal of Indian Psychology4(2), 68-77.

    Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry. in H. S. Moffic, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

    Nasr, S. H. & Leaman, O. (2001). History of Islamic philosophy (3rd ed.). London, New York: Routledge.

    Rüschoff, S. I. (1992). Zur Bedeutung des islamischen Religionsverständnisses für die psychiatrische Praxis. Psychiatrische Praxis, 19(2), 39-42.

    Öz, T., & Kaplick, P. M. (2018). Grundbegriffe eines islamischen Persönlichkeitsmodells: Linguistische, exegetisch-theologische und psychologische Perspektiven. In M. Khorchide & A. M. Karimi (Eds.), Jahrbuch für islamische Theologie und Religionspädagogik – Was ist der Mensch. (pp. 111-145). Münster: Kalam Verlag.

    Vahab, A. A. (1996). Section I: An Introduction to Islamic Psychology. In An Introduction to Islamic Psychology. New Delhi: Institute of Objective Studies.

     

  • IASE Tagungsbeitrag 1998: Möglichkeiten und Grenzen islamischer psychosozialer Beratungsarbeit

    Aus der Schatzkiste. Die Wenigsten wissen, dass die IASE seit den 1980er Jahren existiert. Wir haben alte Tagungsbeiträge ausgesucht, um sie wöchentlich hier zu posten. Viel Vergnügen beim Lesen.


    Maria Zepter

     

    Möglichkeiten und Grenzen islamischer psychosozialer Beratungsarbeit sollen am Beispiel der „Psychologischen Beratungsstelle für Muslime und ihre deutschen Angehörigen“ in München dargestellt werden.

     

    Allgemeines

    Die Beratungsstelle besteht seit 1990. Sie wird von fünf Fachleuten (muslimischen psychologischen Psychotherapeuten und Ärzten) betrieben, angebunden sind einige fremdsprachliche Übersetzer. Es existiert keine geregelte Finanzierung, weder durch die Stadt noch durch die Wohlfahrtsverbände. Letzere behindern die Arbeit sogar eher, als Gründe sind die Sorge um eine weitere Verteilung der knappen finanziellen Ressourcen zu vermuten. Obwohl immer wieder darauf angesprochen, kamen auch keine Spenden von den Ratsuchenden, gelegentlich überwiesen deutsche Frauen geringe Beträge. Die Beratungen erfolgten kostenlos, auch die Übersetzer erhielten bis auf Ausnahmen kein Entgelt (glt. erfolgte eine Bezahlung der Dolmetscher durch das Frauenhaus).

    Die Münchner Moschee bot uns Räume an, die wir jedoch nicht nutzten, da zu befürchten ist, dass viele Hilfesuchende Kontrolle und Gerede fürchten und unser Angebot nicht wahrnehmen würden. Wir konnten dafür einen Raum im Kulturzentrum „Kulturschmiede“ nutzen, wo wir auf Klappstühlen saßen, Telefon und ein kleiner Computer standen in der Küche. Trotz dieser Einschränkungen liefen die Beratungen.

    Für Köln bedeutet das, dass eine Beratungsstelle vom Bildungszentrum für muslimische Frauen räumlich getrennt sein müßte, da sonst die Gefahr besteht, dass manche Mädchen nicht mehr kommen dürften.

     

    Aufgaben der Beratungsstelle

    a) Beratung von Muslimen, ihren deutschen Ehefrauen, Freundinnen oder Familienangehörigen. Die Sitzungen erfolgten als Einzel-, Paar- und Familienberatung.

    b) Weiterleitung an (wenn möglich muslimische) Ärzte oder andere Institutionen im Bereich der Gesundheits- und Sozialfürsorge sowie aus­ländische Institutionen. Wichtig waren die Herstellung des Kontaktes und die Terminabsprache durch uns, da sonst viele Klienten gar nicht oder zu falschen Ter-minen dorthin gegangen wären.

    c) Therapie – d.h. kurze therapeutische Kriseninterventionen oder Weiterleitung an muslimische Therapeuten, die mit der Kran­kenkasse abrechnen konnten. Wenn keine guten mus­limischen Therapeuten vorhanden sind, sollten die Klienten ruhig an gute (d.h. gut ausgebildete und in interkultureller Arbeit erfahrene) nichtmuslimische Therapeuten vermittelt werden. Sinnvoll ist hier eine grundsätzliche Kontaktaufnahme zu geeigneten Kollegen.

    d) Beratung anderer Fachleute (Psychiater, Gutachter, Gerichte, Vormundschaftsgerichte), städtischer Stellen z.B. bei der Planung von Veranstaltungen, Ausländervereinen oder auch kirchlicher Stellen etc. Hier sind besonders islamisches Wissen, Kontaktfähigkeit und vor allem das Vermeiden jeglicher Missionierung wichtig.

    e) Die „Bosnien-Arbeit“ nimmt inzwischen einen hohen Stellenwert ein:

    • Beratung und Begleitung zu Ämtern von bosnischen, muslimischen Flüchtlingen, Ausstellen von Attesten etc.

    • Projekt „Frauen aus Omarska“: Sozialpsychologische und therapeutische Begleitung von 12 über-lebenden Frauen aus dem serbischen Konzentrationslager „Omarska“ und deren Kindern. Weiterhin Begleitung zum Kriegstribunal nach Den Haag. Rückkehrhilfe, Spendensammlung.

    • SOS-Telefon für (alle) Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien an zwei Tagen in der Woche mit muttersprachlichen Fachkräften, die von Spenden der Stadt München, der Süddeutschen Zeitung und einigen Frauenvereinen bezahlt wurden.

     

    Klienten:

    Ein Drittel sind praktizierende Muslime aus verschiedenen Ländern, darunter auch relativ viele deutsche Muslime (häufi­ges Problem: das sog. „Konvertiten-Syndrom“, bei dem bei völliger Anpassung und Aufgabe der eigenen Persönlichkeit die Klienten mit dem Übertritt zum Islam von einem rigiden System ins andere wechseln, zumeist bestehen heftige körperliche Beschwerden oder starke Panikattacken).

    Ein weiteres Drittel sind nicht praktizierende Muslime, bzw. Muslime, die sich von der Religion abgewandt haben (z.B. nach einem Gefängnisaufenthalt im Iran), der Großteil sind tunesische, marokkanische und andere Asylbewerber. Hier ist besonders wichtig, dass das Fachliche, die psychologische Beratung im Vordergrund steht. Keine Ahadith oder Koranverse heranziehen, sonst kommen die Klienten nicht wieder. Nach unseren Erfahrungen bringen die Klienten später manchmal selbst das Gespräch auf die Religion.

    Das letzte Drittel stellen binationale Familien, deutsche Frauen muslimischer Männer oder deren Freundinnen vor der Eheschließung. Vielfach handelt es sich um massiv geschlagene, unterdrückte und mißhandelte Frauen. Die Rate der psychischen Störungen liegt bei Asylbewerbern extrem hoch, es finden sich relativ häufig psychiatrische Diagnosen. Wichtig: Wenn klar ist, dass es nur um Heirat zur Erlan­gung der Aufenthaltserlaubnis geht, sollte den Frauen abraten werden.

     

    Wichtige Grundsätze für die Beratungsarbeit

    • Wichtig ist psychologische Beratung von Muslimen für Muslime und nicht islamische psychologische Beratung.

    • Berater müssen große Offenheit für andere besitzen. Statt zu Moralisieren und auf Höllenstrafen zu verweisen sollen die Konsequenzen des jeweiligen Handelns wertfrei aufgezeigt und die Verantwortung des Menschen dafür betont werden. Besonders wichtig ist dieses bei Problemen vorehelicher Kon­takte von Jugendlichen oder jungen Frauen.

    • Die fachliche Kompetenz steht im Vordergrund, islamische Aspekte bleiben (vorerst) im Hintergrund. Die Beratung darf nichts Missionarisches haben, keine „Büje- oder Peri-Geschichten“ (häufige türkische Erklärung für psychiatrische Phänomene und psychotische Erkrankungen: Dschinnen oder der böse Blick), sondern fachliches Wissen, kombiniert mit Kenntnis des Islam und der Sharia. Der Berater sollte niemals die Lebensweise seines Klienten als „islamisch richtig“ oder „islamisch falsch“ bewerten.

    • Offen sein für sog. „Papier-Muslime“ oder der Religion Entfernte. Es ist sinnvoll, den Kontakt über Themen wie Landeskunde oder den Ausländerstatus und nicht über den Islam herzustellen und aufrecht zu erhalten. Später geht vielleicht ein Signal vom Klienten aus, aus dem sich etwas entwickeln kann. Das ist auch wichtig für den Ruf und das Ansehen der Beratungsstelle bei der Stadt und anderen Institutionen. Islamische Beratungs­arbeit wird ja auch in den Moscheen geleistet oder von bestimmten religiösen Gruppen. Die psychologische Beratungs­arbeit muß sich am Fachlichen orientieren.

    • Fest im Islam sein und sich nicht vom Mißbrauch des Islam durch viele Klienten deprimieren lassen. Davon ausgehen, dass es alles (Betrug, Inzest, Mißbrauch, schwerste seelische und körper­liche Mißhandlungen) auch unter Muslimen gibt.

    • Für ausreichende Supervision sorgen, vor allem in der Anfangszeit. Bei Anträgen um finanzielle Unterstützung sollte ein Super­visionshonorar mit angesetzt werden.

    • Telefonische Sprechstunde, auf Anrufbeantworter genaue Angabe der Zeiten, evtl. Notrufnummer für dringende Fälle (Vorsicht: wird oft mißbraucht. Wir haben es nach einiger Zeit aufgegeben und täglich den Anrufbeantworter abge­hört). Beim Zurückrufen sollte man sich nicht mit „Beratungsstelle“ melden, sondern neutral. Immer fragen, ob es gerade paßt oder besser ein anderes Mal. Wenn der Ehemann abnimmt, kann es besser sein, wieder auflegen und zu warten, bis man ein anderes Mal die Frau di­rekt erreicht.

    • Aus Gründen der Finanzen und der Arbeitsüberlastung führten wir einen halben Tag Beratungsgespräche in der Beratungsstelle durch. Telefonische Sprechstunden und sonstige Beratungen bzw. Therapien fanden in den Praxen der jeweiligen Therapeuten statt.

    • Es fällt viel Sozialarbeit an. So ist die Bereitschaft wichtig, den Beratungsraum zu verlassen und Klienten z.B. zu Ämtern begleiten. Hier kann der Berater durch Lernen am Modell Hilfe zur Selbsthilfe geben (Schreiben von Briefen, Ausfüllen von Formula­ren). Keinesfalls geht es darum, dem Klienten einfach die Arbeit abzunehmen.

    • Zusammenarbeit mit Imamen und Hodschas, jedoch nur mit denen, die man kennt, denen man vertrauen kann und die die Schweigepflicht einhalten (das sind unseren Erfahrungen nach eher wenige).

     

    Grenzen der Beratungsarbeit

    • Fehlende finanzielle Unterstützung (weder von der Stadt, dem Staat, den Wohlfahrtsverbänden oder den Moscheen) setzt der Arbeit Grenzen.

    • Sehr schwierige Klientel, häufig besteht nur geringe Therapiefähigkeit

    • „Benutzermentalität“ der Klienten: ein Klient wollte z.B., dass nach der Beratung die Beraterin auf die Kinder aufpaßt, weil sich der Ehemann mit seiner Frau das neue Auto anschauen wollte („unter Muslimen ist das doch üblich“) oder: In einem klaren, ärztlich und gerichtlich belegten Fall von Mißbrauch wollte der muslimische Täter ein Gegengutachten, „weil die Mus­lime doch zusammenhalten müssen“ gegen die deutschen Gerichte.

    • In der Therapie sind nicht alle Methoden anwendbar (z.B. schwierig mit der klassischen Psychoanalyse, Katathymem Bildererleben, bestimmte Gestaltübungen etc.), hier muß man eigene Methoden entwickeln oder kombinieren. Viele Therapiemethoden, vor allem systemische, sind aus islamischer Sicht sehr brauchbar.

    • Klare Abgrenzung zur Sozialarbeit, finanzielle Unterstützung, Wohnungs- und Arbeitsvermittlung etc.

    • Übersetzer-Problem

    • Eigene psychische Grenzen beachten. Inzest, Mißbrauch, sexuelle Perversionen: alles kommt vor.

     

    Wir haben in München klein und bescheiden angefangen und wichtige Erfahrungen gemacht. Aus un-seren Fehlern haben wir gelernt. Wir mußten auch lernen, unsere Ohnmacht zu akzeptieren und haben doch viel erreicht in den Jahren.

    Inzwischen haben wir uns in München einen sehr guten Ruf erworben.