Mit dem Namen ALLAHs, des Barmherzigen, des Allerbarmers, bismi ʾllāhi ʾr-raḥmāni ʾr-raḥīm

Author: Paul Kaplick

  • Blogreihe: Islam und Psychologie – Gegenstand und Geschichte – Teil 24

    Ausblick

    In Hinblick auf die in den vorherigen Blogbeiträgen vorgebrachte Kritik an der IP Literatur sind zukünftig einige Sachverhalte anzugehen. Wir gliedern unseren Ausblick in (1) einen konzeptionellen und strukturellen Teil und werden dabei beleuchten, welche Entwicklungen langfristig interessant sein können und (2) welche langfristigen Ziele die Islam und Psychologie-Strömung verfolgen kann.

    Langfristige Ziele der IP Strömung

    Auf einer abstrakteren Ebene lassen sich über die konkret möglichen konzeptionellen und strukturellen Schritte hinaus langfristige Ziele der Arbeit der Islam und Psychologie-Strömung benennen (Kaplick & Skinner, 2017). Hierbei unterscheiden wir nach Barry, Born und Weszkalnys (2008) unter anderem zwischen einem theoretischen und praktischen Ziel interdisziplinärer Forschung:

    Die Islam und Psychologie-Strömung muss sich der zentralen Frage stellen, welchen Beitrag sie zur Entwicklung der Psychologie als Ganzes leisten kann. Als Literaturkorpus, der sich äußerst kritisch mit der gegenwärtigen Disposition der psychologischen Wissenschaft auseinandersetzt, kann die Islam und Psychologie-Strömung ontologische Kritik an der modernen Psychologie üben (Logik der Ontologie nach Barry, Born und Weszkalnys, 2008). Dabei bildet der Islam als Wissenschaft und Erkenntnis bejahende Religion eine wichtige Ressource. Insbesondere kann er uns dabei auf die starke Kulturgebundenheit psychologischen Wissens aufmerksam machen und zu einem breit angelegten Verständnis der menschlichen Natur beitragen. So tritt sie neben die bereits bestehenden indigenen Psychologien wie der taoistischen oder buddhistischen, die Eingang in die Psychologie gefunden haben.

    Neben einem theoretischen Beitrag zur Entwicklung der modernen Psychologie stellt sich die Frage nach dem Potential der Strömung, aktuelle gesellschaftliche Probleme besser zu verstehen (Logik der Verantwortlichkeit nach Barry, Born und Weszkalnys, 2008). So kann sie im Zusammenhang gesellschaftlicher Herausforderungen wie z. B. der Flüchtlingsbewegung nach Deutschland zu einem besseren Verständnis und Bewusstsein kultureller Unterschiede beitragen und somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, der gerade im Zeitalter der Globalisierung und dadurch entstehender Ängste von großer Bedeutung ist.

    Wir bedanken uns herzlich bei Ihnen, dass Sie an dieser Blogreihe teilgenommen haben!

    Über diese Blogreihe

    Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.

  • Blogreihe: Islam und Psychologie – Gegenstand und Geschichte – Teil 23

    Ausblick

    In Hinblick auf die in den vorherigen Blogbeiträgen vorgebrachte Kritik an der IP Literatur sind zukünftig einige Sachverhalte anzugehen. Wir gliedern unseren Ausblick in (1) einen konzeptionellen und strukturellen Teil und werden dabei beleuchten, welche Entwicklungen langfristig interessant sein können und (2) welche langfristigen Ziele die Islam und Psychologie-Strömung verfolgen kann.

    Konzeptionelle und strukturelle Entwicklungen

    Konzeptionell werden sich viele der erläuterten Probleme durch eine allgemeine Qualitätssteigerung der Arbeiten und Orientierung an internationalen wissenschaftlichen Standards beheben lassen. Diese Qualitätssteigerung wird momentan vor allem von westlichen muslimischen Psychologen eingefordert und kann z. B. dabei helfen, den Westen nicht mehr zu dämonisieren, psychologische von theologischer und philosophischer Fachterminologie stringenter zu unterscheiden, mehr Wert auf die zugrundliegende Methodologie hinter den verschiedenen Definitionen der islamischen Psychologie zu legen und kritische Arbeiten zu veröffentlichen, die neben dem axiomatischen Wahrheitsanspruch islamischer Quelltexte bestehen, kein  missionarisches Ziel verfolgen und ein weit gefasstes Islamverständnis und somit eine Pluralität von Meinungen zulassen.

    Neben einer Forderung nach allgemeiner Qualitätssteigerung ist weiterhin zu bedenken, wie in bestehenden Arbeitslinien weiterzuarbeiten ist. Die Hinterfragung „westlich“-psychologischer Konzepte aus einer islamischen Perspektive mag für eine erste Orientierung sinnvoll gewesen sein (Kaplick & Skinner, 2017), es ist jedoch fraglich, ob eine parametrische Vorgehensweise mit einem one-to-one mapping aller westlichen Konzepte mit einer islamischen Meinung langfristig zu echtem Erkenntnisgewinn führt. Diese Vorgehensweise war während des Stadiums der Identitätsfindung sehr hilfreich und kann heute bei tatsächlich relevanten Fragestellungen sicherlich weiterhin ein wichtiges Hilfsmittel sein. Auch sind empirische Untersuchungen zu Muslimen aus der Perspektive einer empirisch-orientierten islamischen Psychologie (hier nicht Muslim Mental Health-Arbeiten!) aus unserer Sicht hinsichtlich ihrer Aussagefähigkeit weiter zu untersuchen.

    Im Gegensatz dazu bieten die Werke der traditionellen muslimischen Gelehrten sowohl der frühen Zeit des Islams als auch der Gegenwart ein mögliches Potential, um eine islamische Psychologie zu formulieren. Mit der Erschließung dieser Arbeiten ist auch der Entwicklung entgegenzusteuern, das Rad ständig neu zu erfinden und mit der Theoriearbeit wieder und wieder vom Punkt 0 zu beginnen. Es ist davon auszugehen, dass bisher nur 6% der vorhandenen Schriften der frühen muslimischen Gelehrten mit Relevanz zur Psychologie gesichtet wurden (Elzamzamy & Patel, in Vorbereitung).

    In Ergänzung der Texte der frühen muslimischer Gelehrter sind auch die Arbeiten muslimischer Psychologen der Gegenwart in Sprachen jenseits des Englischen zu sichten und weiterzudenken. Auch wenn sprachliche Grenzen sich durch die Verbreitung des Englischen als Lingua Franca auch in der islamischen Welt zunehmend verwischen, dürfte ein großer historischer Literaturkorpus unter anderem im Türkisch- Osmanischen (siehe: Sahin, 2013), Persischen (z. B. Husaini, 1986, 1999), Urdu (z. B. Rizwi, Umar & Tufail, 1997) und Malaiischen in den Universitätsbibliotheken, Archiven und privaten Büchersammlungen von Einzelpersonen auf Übersetzung und kritische Herausgabe warten.

    Mit der Aufarbeitung der Texte muslimischer Gelehrter und muslimischer Psychologen ist auch eng die Auslotung des Potentials einer islamischen Psychologie verbunden. Es geht dabei insbesondere um die Frage, was eine solche Psychologie leisten kann und diese durch die Beschreibung grundlegender Konzepte und Methoden zu beantworten. Dabei ist Moughrabi (2000, in diesem Band) zuzustimmen, dass zur Etablierung einer indigenen islamischen Psychologie die notwendige Theoretisierung von Grund auf neu durchdacht werden muss.

    Weitere Probleme, die wir in der kritischen Würdigung angesprochen haben, wie z. B. die vermehrte Betonung bereits geleisteter Arbeit, ein intensiverer kritischer Diskurs und der einseitig klinische Fokus können strukturell angegangen werden. Hierzu ist eine stärkere internationale Vernetzung der Szene muslimischer Psychologen wichtig, insbesondere mit der islamischen Welt. Wir haben bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass eine lebendige internationale Szene muslimischer Psychologen existiert, die sich mit der Beziehung von Islam und Psychologie auseinander setzt (Kaplick & Rüschoff, 2018).

    Neben der verstärkten internationalen Zusammenarbeit mit muslimischen Psychologen wird auch die Einbeziehung der islamischen Theologie, Mystik und Philosophie essentiell sein, um philosophisch- und theologisch-orientierte Fragestellungen anzugehen.

    Ebenso wichtig ist die Kooperation mit anderen Religionen, die sich mit der Rolle der Spiritualität in den Gesundheitsberufen auseinandersetzen. Wegen der Ähnlichkeit des Verständnisses von Religion als Lebensweise ist hier vor allem die Arbeit jüdischer Psychologen und Psychotherapeuten interessant (z. B. Spero, 1992).

    In 2 Wochen setzen wir diesen Ausblick fort.

    Über diese Blogreihe

    Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.

  • Blogreihe: Islam und Psychologie – Gegenstand und Geschichte – Teil 22

    Kritische Würdigung: Klinischer Fokus und Darstellung des Westens

    Klinischer Fokus

    Es ist auffallend, dass anwendungsorientierte Arbeiten muslimischer Autoren fast ausschließlich klinischer Natur sind, wobei die klinische Psychologie allerdings nur ein von vielen möglichen Anwendungsbereichen darstellt. Trotz vieler wichtiger Fragestellungen werden grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse nur für den klinischen Bereich genutzt. So sind muslimische Psychologen unter anderem im Bereich der Forensik gefordert, wenn es im islamischen Recht z. B. um die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder der Glaubwürdigkeit von Zeugen geht und eine islamischpsychologische Expertise unabdingbar ist (siehe auch: Mohamad, A.B., 2010). Daher wird es zukünftig nicht nur darum gehen, den Islam hinsichtlich seines psychologischen Inhaltes zu untersuchen und Erkenntnisse der Grundlagenforschung auch  in nicht-klinische Anwendungsbereiche zu tragen, sondern psychologisches Wissen auch für die islamische Glaubenspraxis nutzbar zu machen.

    Für die starke klinische Orientierung der gegenwärtigen Islam und Psychologie- Strömung können mehrere Faktoren verantwortlich gemacht werden. So ist nicht nur die Medizin, sondern auch die Psychologie in ihren klinischen Fächern letztlich eine anwendungsorientierte Wissenschaft, die sich um Menschen in medizinischen und psychologischen Notlagen kümmert und die Linderung ihrer Beschwerden zum Ziel hat. Daher sehen sich besonders Kliniker und Therapeuten in der Pflicht, für ihre muslimischen Patienten angemessene Therapien zu entwickeln, die nicht nur deren spirituelle und religiöse Bedürfnisse ausreichend berücksichtigen, sondern auch gleichzeitig fest im Islam verwurzelt sind. Dies umso mehr, als viele säkulare Modelle Spiritualität und Religion und damit auch die islamische Lebensweise nicht ausreichend berücksichtigen, die im Islam jedoch eine zentrale und ungleich höhere Bedeutung als z. B. im Christentum besitzt. Des Weiteren verfügen die meisten Kliniker nicht über eine umfassende Ausbildung in den islamischen Wissenschaften inklusive der Philosophie, die zur Entwicklung theoretisch fundierter psychologischer Konzepte erforderlich wäre. Außerdem fehlt ihnen dadurch die Expertise, westliche bzw. moderne wissenschaftliche Konzepte aus einer islamischen Perspektive differenziert zu beurteilen. Da es andererseits den Theologen und Rechtsgelehrten an einer wissenschaftlichen medizinischen und psychologischen Ausbildung mangelt, wird angesichts des komplexen Gegenstands auf Dauer nur eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zu befriedigenden Ergebnissen führen.

    Darstellung des Westens und der westlichen Psychologie

    Angesichts des Fehlens einer klar umrissenen Definition einer islamischen Psychologie und ihrer wissenschaftstheoretischen Grundlagen wird die Diskussion um eine islamische Psychologie stark von der Betonung der Grenzen und damit von dem bestimmt, was sie nicht ist: nämlich „westlich“. Eine genauere Beschreibung oder gar Definition dieser „westlichen Psychologie“ bleibt allerdings aus. Bei aller erforderlichen kritischen Würdigung „westlicher“ theoretischer Positionen werden in teilweise grotesker Unkenntnis wesentlicher Fakten Zusammenhänge und Entwicklungslinien konstruiert, die selbst grundlegenden wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen. So sieht Rashid Hamid (1977, in diesem Band) die Wahrnehmung des Menschen als Statthalter Gottes dadurch gefährdet, dass sich nach Darwin der Mensch aus dem Affen entwickelt habe, auch habe nach Shah die Verwendung eines säkularen Wissenschaftsansatzes zu schwulen und lesbischen Ehen, vorehelichem Sex, Altersheimen und ähnlichen Problemen geführt. Die westliche Psychologie sei verantwortlich für die Anlage-Umwelt-Kontroverse (Abdullah, 2011) und ist vollständig „von der westlichen gottlosen Weltanschauung des säkularen Humanismus beeinflusst“ (Badri, 2012, S. 5, in diesem Band).

    Die Einseitigkeit der Wahrnehmung der westlichen Gesellschaft und Wissenschaft als vermeintlich materialistisch und gottlos führt dazu, dass bei aller berechtigten Kritik aus islamischer Perspektive viele muslimische Forscher das Kind mit dem Bade ausschütten und interessante und brauchbare Ansätze für die eigene Arbeit nicht fruchtbar machen können. So greifen viele Autoren ausschließlich auf die Gründer der großen Schulen zurück, insbesondere auf Sigmund Freud und B.F. Skinner, und vernachlässigen die Entwicklungen der Folgezeit, die sich selbst als Paradigmenwechsel verstehen wie die Selbstpsychologie oder die Objektbeziehungstheorie (Santer, 2003), die aus einer islamischen Perspektive viele Anregungen bereithalten (Rüschoff & Kaplick, 2018). Die Kritiker übersehen außerdem, dass in den letzten Jahren die Themen Religion und Spiritualität in den USA und zunehmend auch in Europa und speziell in Deutschland auf zunehmendes Interesse stoßen und diese vermehrt in die Theoriebildung und die Behandlungspraxis einbezogen werden (Utsch, 2005; Utsch et al., 2017).

    Die teilweise pauschale Ablehnung und vorurteilsbehaftete Wahrnehmung aller westlichen Psychologie lässt sich zwar vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen und dem Gefühl einer Vereinnahmung durch den Westen mit seinen Universalisierungsansprüchen nachvollziehen, beruht jedoch auch auf einem zu engen Verständnis von Islam, welches häufig nur das gelten lässt, was direkt aus Qur’an und Sunna, den islamischen Primärquellen, zu belegen bzw. ableitbar ist. So beschreibt Moughrabi (2000, S. 367, in diesem Band) die Arbeit muslimischer Psychologen größtenteils als Versuch aufzuzeigen, „dass der Qur’an und die Hadithe wichtige und vollständige Repositorien psychologischer Theorie sind, die muslimischen Gesellschaften nutzbringender als die westliche Psychologie sind“. Tariq Ramadan vertritt dagegen eine andere, weitere Perspektive, wenn er feststellt, dass es zwar nur einen Islam gibt, die Muslime aber die aktuellen Bedingungen ihrer Gesellschaften berücksichtigen müssen und deren Errungenschaften nicht einfach ablehnen dürfen (Ramadan, 2001). „Im Bereich der sozialen Angelegenheiten (mu’âmalât) sind alle Mittel oder Instrumente, Traditionen, Künste oder Bekleidungen, die nicht an sich oder durch den Gebrauch, der von ihnen gemacht wird, in Widerspruch zu islamischen Geboten stehen, nicht nur annehmbar, sondern per definitionem islamisch“ (Ramadan, 2001, S. 245 f.). Diese Position war die meiste Zeit der islamischen Geschichte Orientierung für die Muslime (Bauer, 2011), nur so konnte der Islam zu einer Weltreligion werden und die unterschiedlichsten Kulturen von der iberischen Halbinsel bis Indonesien integrieren. Diese Auffassung lässt auch für einen europäisch geprägten Islam genügend Spielraum und für eine Integration seiner Wissenschaftskultur, die islamischem Geist entspricht.

    Interner Diskurs

    Überblickt man die vorhandene Literatur zum Thema, so fällt auf, dass viele Beiträge sowohl die Arbeit früher muslimischer Gelehrter als auch die existierende  aktuelle Literatur zum Thema nicht berücksichtigen. Das führt zu ständigen Wiederholungen grundsätzlicher Positionen wie z. B. der Haltung gegenüber den unterschiedlichen Menschenbildern von westlicher Wissenschaft und im Islam oder bzgl. Aussagen zur menschlichen Natur aus islamischer Perspektive, ohne dass auf bestehende Literatur Bezug genommen wird.

    In der Gesamtsicht müssen die wissenschaftlichen Standards in Arbeiten zu Islam und Psychologie deutlich verbessert werden. So sind z. B. Vahab (1996b, in diesem Band) und S.H. Khan (1996, in diesem Band) aus historischen Gründen und nicht aus Gründen wissenschaftlicher Qualität in diesem Sammelband vertreten. Im Vergleich zu diesen Arbeiten sind neuere Beiträge bereits qualitativ hochwertiger, jedoch muss diese Entwicklung weiter bestärkt werden. Eng damit verbunden ist die Tatsache, dass in der Literatur keinerlei Beiträge zu finden sind, die sich kritisch mit der Qualität und thematischen Ausrichtung der Literatur auseinandersetzen.

    Festzustellen ist ferner, dass die bestehende Literatur die Diversität der islamischen Community weltweit widerspiegelt. Viele Arbeiten sind auf der Grundlage von islamischer Mystik oder aus der Perspektive der Shi’a entstanden (z. B. Dasti & Sitwat, 2014, in diesem Band; Keshavarzi & Haque, 2013; Maynard, 2008, in diesem Band; Skinner, 1989, 2010). Damit diese unterschiedlichen Herangehensweisen fruchtbar werden können und nicht als feindliche Landnahme abgelehnt werden, ist die geforderte Klarheit nicht nur in wissenschaftlicher, sondern auch aus islamischtheologischer Sicht von Bedeutung.

    In 2 Wochen widmen wir uns dem Ausblick.

    Über diese Blogreihe

    Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.

  • Blogreihe: Islam und Psychologie – Gegenstand und Geschichte – Teil 21

    Kritische Würdigung: Wissenschaftstheorie und Methodik

    Abgesehen von einzelnen Arbeiten aus den 1960er Jahren wird eine intensive Diskussion um den Themenkomplex Islam und Psychologie weltweit jetzt seit gut 40 Jahren geführt. Beim Überblick über die publizierte Literatur und den Diskussionsstand muss man allerdings konstatieren, dass die Diskussion um Islam und Psychologie und der Versuch, eine indigene Psychologie des Islam bzw. eine Psychologie auf einer islamischen Grundlage zu entwickeln, noch tief in Kinderschuhen steckt und erst am Beginn seiner Entwicklung steht. Berücksichtigt man die Diversität der Kulturen, in denen der Islam als Weltreligion im Laufe seiner Geschichte heimisch geworden ist und die enge Verbindung psychologischer Fragestellungen mit diesen Kulturen (Stellung des Individuums, angemessenes vs. abnormes Verhalten, Sozialisationsbedingungen, Konfliktlösungsmodelle, Erziehungsvorstellungen, Partnerschaftsmodelle u. v. m.), ist es nahezu unvermeidlich, dass hier unterschiedlichste Vorstellungen von Psychologie, ihrem Charakter als Wissenschaft, ihren Grundlagen und Zielen aufeinander treffen. Erschwert wird die Situation zusätzlich noch durch den Anspruch, Psychologie mit der Religion zu verbinden, womit die Frage nach der Wahrheit und Absolutheitsansprüchen in die Diskussion eingeführt wird.

    Islamische Quelltexte als Axiome – wissenschaftstheoretische Aspekte

    Aus der Perspektive der Religionspsychologie ist für die Mehrheit der bisher erschienenen Arbeiten der Islam und Psychologie-Strömung festzustellen, dass die Autoren überwiegend aus einer theologischen Perspektive heraus agieren. Es wird eine religiöse Grundhaltung eingenommen und diese sowie die islamischen Quelltexte als Axiome in die Diskussion eingeführt. Möglicherweise haben deren Fragestellungen aber keine oder nur eine geringe Relevanz für den eigentlichen psychologischen Gegenstand des Diskurses (Kaplick, 2018). Dies verdeutlicht das dringende Erfordernis der Klärung  der wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen und des Verhältnisses von Religion (Islam) und Wissenschaft (Psychologie), die auch in der religionspsychologischen Forschung lange Zeit nicht ausreichend erfolgte (Utsch, 1998). „Eine Vermischung der für diese beiden Bereiche streng zu trennenden, wissenschaftstheoretisch begründeten Vorgehensweisen führt zu Unstimmigkeiten, Einschränkungen und/oder Überschreitungen des psychologischen Gegenstandes, der dazugehörigen Theorie und Forschungsmethode“ (Utsch, 1998, S. 48). So kritisieren Dasti und Sitwat zwar die Abänderung verschiedener Fragen ihrer Untersuchung unter pakistanischen Studenten durch Religionsgelehrte wegen ihres vermeintlich anstößigen oder glaubensschädigenden Charakters, sehen diese jedoch im Zusammenhang mit den speziellen kulturellen Voraussetzungen in Pakistan und schränken die Aussagefähigkeit der Arbeit entsprechend ein (Dasti & Sitwat, 2014, in diesem Band). Sebastian Murken, ein deutscher, nichtmuslimischer Religionspsychologe, stellte daher in der Diskussion mit Shah die Frage, ob es angesichts derart unterschiedlicher Ausgangspositionen muslimischen Forschern überhaupt möglich sei, mit anderen zusammenzuarbeiten, die den islamischen Rahmen nicht teilen (Murken & Shah, 2002, in diesem Band). Shah vertritt eine klare Rangfolge innerhalb eines islamischen Untersuchungsrahmens, an deren erster Stelle der Qur’an steht, gefolgt von Sunna, Ijma (Konsens der Gelehrten) und Qijas (Analogieschluss im Rahmen des islamischen Rechts), wobei für ihn ausschließlich die letzte Methode mit wissenschaftlicher Untersuchung nach westlichem Verständnis gleichzusetzen ist. Sogar der Konsens der Gelehrten (Ijma) wird als Axiom behandelt und nicht kritisch hinterfragt. Murken dagegen vertritt als Religionspsychologe das bereits 1903 vom Schweizer Psychologen Théodore Flournoy eingeführte Prinzip des Ausschlusses der Transzendenz (Murken & Namini, 2006), was bedeutet, dass sich „Religionspsychologie immer nur auf die psychologischen Aspekte des Religiösen beziehen kann; die Fragen nach der Wahrheit religiöser Vorstellungen und der Existenz religiöser Entitäten müssen ausgeklammert bleiben“ (Moosbrugger & Zwingmann, 2004, S. 11) und können bestenfalls im Rahmen einer religiösen/theologischen Psychologie behandelt werden. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass in der Strömung keine nichtmuslimischen Stimmen zu vernehmen sind, die jedoch in Seminaren zur islamischen Psychologie erfahrungsgemäß wertvolle Beiträge liefern.

    Methodologie der Definitionen der islamischen Psychologie

    Auch über die wissenschaftliche Standortbestimmung hinaus wird in der Literatur deutlich, dass die vorliegenden Definitionen einer islamischen Psychologie keiner bestimmten Methodologie folgen, sondern in erster Linie von der Ausbildung der Autoren und der daraus folgenden Interessenlage bestimmt wird. Gerade weil sich z. B. in der Versorgung der Bevölkerung tätige Psychologen, Psychiater, Psychotherapeuten oder Berater, forensisch tätige Gutachter, theoretisch forschende Psychologen an Universitäten aus den unterschiedlichsten Disziplinen, aber auch Soziologen  Anthropologen, Religionswissenschaftler, islamische Rechtsgelehrte, Juristen usw. mit diesem Themenfeld auseinandersetzen, sind unterschiedliche Definitionen denkbar und wahrscheinlich. Aus diesem Grund muss auch die Methodologie deutlich gemacht werden, mit der eine Definition erarbeitet wird: welches Teilgebiet der Psychologie und des Islams wird vorwiegend berücksichtigt, welche Themen stehen dabei im Zentrum, auf welche Methoden wird zurückgegriffen und auf welcher Ebene (z. B. sozial- oder neuropsychologisch) wird dabei gearbeitet (York Al- Karam, 2017)? Um diese vielschichtige Situation zu strukturieren und einer Klärung der Frage näherzukommen, was eine islamische Psychologie ist, schlägt z. B. Carrie York Al-Karam für das voraussichtlich im April 2018 stattfindende Seminar Islamic Psychology: Defining a Discipline-Seminar des Research Centre for Islamic Legislation and Ethics (CILE) in Qatar vor, in einem ersten Schritt auf das Multilevel Interdisciplinary Paradigm als methodologisches Hilfsmittel aus der Psychologie der Religion und Spiritualität zurückzugreifen (Paloutzian & Park, 2005, 2013).

    Psychologische Fachterminologie

    Die Literatur zeigt weiter, dass sich die Autoren tendenziell wenig an wissenschaftlicher Fachterminologie und psychologischer Nomenklatur orientieren (z. B. Mohamed, 1995, in diesem Band; Abdul Razak, M.A., 2011). Dies ist bei der häufig geäußerten Kritik an westlicher Psychologie, aus der diese Nomenklatur stammt, zwar zu erwarten, führt aber zu einer Beliebigkeit, die eine Kommunikation über die Ergebnisse mangels Vergleichbarkeit erheblich erschwert. Der häufige Bezug auf die islamischen Quellen und die Werke früherer Gelehrter, die mangels Fehlens eines abgegrenzten Wissenschaftsbereiches Psychologie und der daraus folgenden speziellen Fragestellungen natürlich philosophisch-theologische Termini benutzten, führt weiterhin zu einer unscharfen Definition zentraler Begriffe wie Fitra usw., wie Hisham Abu-Raiya (2012, in diesem Band) an Abu Hamid Al-Ghazali kritisiert.

    In 2 Wochen setzen wir die kritische Auseinandersetzung fort und beschäftigen uns mit konkreten Inhalten.

    Über diese Blogreihe

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  • Blogreihe: Islam und Psychologie – Gegenstand und Geschichte – Teil 20

    Zwischenfazit

    Muslimische Psychologen der Gegenwart können auf eine großartige psychologische Ideengeschichte in den Werken muslimischer Gelehrter zurückblicken. Über einen Zeitraum von 14 Jahrhunderten haben diese während der Blütezeit des Islams (9.–13. Jahrhundert), der sogenannten Phase des Niedergangs (14.–19. Jahrhundert) und während der Phase der Wiederbelebung (20./21. Jahrhundert) psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Themen bearbeitet. Grundlegende psychologische Ideen und Theorien sowie psychologische Behandlungspraxis standen dabei im Zentrum des Interesses. Insbesondere während der letzten 40 Jahre haben muslimische Psychologen in der englischsprachigen Literatur begonnen, auf diese Tradition zurückzugreifen und den Versuch unternommen, einen modernen Entwurf einer islamischen Psychologie zu erarbeiten. Ein solcher Versuch lässt sich in der arabischen Literatur bereits 30 Jahre vor der englischsprachigen Literatur vorfinden, eine Systematisierung steht jedoch noch aus.

    Die Gegenwartsliteratur wurde maßgeblich durch die prosperierende psychologische Wissenschaft im Westen stimuliert. Aus dieser Reaktion herauslassen sich zwei distinkte Stadien der Theorieentwicklung erfassen: Im Verlauf der 70er, 80er und 90er Jahre haben muslimische Psychologen vor allem ihren Standpunkt gegenüber der westlichen Psychologie definiert (Stadium der Identitätsfindung). Die Positionen reichen dabei von einer unkritischen Übernahme westlicher Theorien bis zur kompletten Ablehnung der wissenschaftlichen Psychologie und der Etablierung einer Theorie der menschlichen Natur ausschließlich auf Basis islamisch-religiöser Vorstellungen. Seit Mitte der 90er Jahre haben muslimische Psychologen begonnen, vermehrt an der Entwicklung eines eigenen Referenzrahmens für eine islamische Psychologie zu arbeiten (Stadium des Veränderungsanspruches). Dabei lässt sich eine tendenziell theoretisch-orientierte islamische Psychologie, die ihre Annahmen entscheidend aus den islamischen Quelltexten ableitet, von einer empirisch-orientierten islamischen Psychologie unterscheiden, die sich empirisch mit Muslimen beschäftigt. Auch lässt sich eine Position ausmachen, die beide Ansätze miteinander in Einklang bringt. Eine grundlegende Fragestellung während des weiterhin andauernden Stadiums des Veränderungsanpruches ist, was islamisch an einer islamischen Psychologie ist bzw. sein kann oder soll.

    Muslimische Psychologen haben einen thematisch und methodologisch breitgefächerten Literaturkorpus erarbeitet, in dem eine islamische Psychologie lediglich eine Arbeitslinie einer größeren intellektuellen Strömung darstellt, die sich als Islam und Psychologie-Strömung bezeichnen lässt. Diese Strömung umfasst sowohl grundlagenwissenschaftliche als auch anwendungsorientierte Arbeitslinien, die in den letzten Jahren vermehrt in die praktische Psychologie getragen werden konnten. Grundlagenwissenschaftlich spielt eine große Rolle, wie genau der Dialog zwischen islamischen und psychologischen Gegenstandsbereichen ablaufen kann. Weiterhin stehen islamisch-psychologische Schlüsselkonzepte wie Nafs, Qalb, ‘Aql, Ruh und Fitra und darauf basierende Persönlichkeitstheorien im Fokus der Aufmerksamkeit. Die anwendungsorientierte Literatur kann unterschiedlich konzeptualisiert werden; wir haben diese dreiteilig dargestellt in: islamischen Therapieformen und Beratungspraxis, kultursensiblen Ansätzen und Muslim Mental Health-Arbeiten. Inzwischen lässt sich weltweit eine wachsende Anzahl von universitären und klinischen Ausbildungsprogrammen verzeichnen, die sich auf die bisher stattgefundene Theoriearbeit beziehen, die aber dringend weiterer theoretischer, insbesondere wissenschaftstheoretischer Fundierung bedarf.

    Wir haben in diesem Buchkapitel versucht, die relevante Literatur für die verschiedenen Bereiche der Islam und Psychologie-Strömung systematisch darzustellen. Dies soll dem Leser einen Kompass zur Navigation durch die Publikationslandschaft an die Hand zu geben. Im folgenden Abschnitt werden wir die Gegenwartsliteratur einer kritischen Würdigung unterziehen.

    In 2 Wochen werden wir die besprochenen Inhalte kritisch würdigen.

    Über diese Blogreihe

    Nachdem wir uns im IASE Blog bereits den Themenfeldern „Die Terra Incognita der islamischen Psychologie“ und den „Instituten und Vereinigungen muslimischer Psychologen“ zugewandt haben, beschäftigen wir uns in dieser Blogreihe detaillierter mit der Literatur zum Thema islamische Psychologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem Gegenstand. Diese Blogreihe erscheint alle zwei Wochen am Sonntag. Die Inhalte sind aus der theoretischen Einführung in den Sammelband „Islam und Psychologie – Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis“ entnommen, der zum Beispiel hier erhältlich ist. Darin findet Ihr auch ein Literaturverzeichnis für die verwendeten Quellen.