Mit dem Namen ALLAHs, des Barmherzigen, des Allerbarmers, bismi ʾllāhi ʾr-raḥmāni ʾr-raḥīm

Blog

  • Fasteneinschränkungen bei psychischen Krankheiten

    As-salamu alaikum und Ramadan Mubarak!

    Wir möchten Euch mit dem Beginn des Fastenmonats Ramadan einen Beitrag zur Verfügung stellen, der von unserem engen Kooperationspartner islamundpsychologie und dem sich in der Gründung befindenden „Psychosozialen Zentrum für Muslime“ erarbeitet wurde.

     

    Kurzüberblick bezüglich möglicher Fasteneinschränkungen bei psychischen Krankheiten mit Fallbeispielen

    Amin Loucif, Ibrahim Hourani, & Carl Philip Yusuf Dreckmann

    Beim islamischen Fasten, insbesondere im Ramaḍān, handelt es sich, religiös und spirituell betrachtet, um ein sehr bedeutsames und sensibles Thema. Es ist eine der fünf Säulen des Islams und hat spirituelle, körperliche, psychische und soziale Aspekte. Deswegen ist es auch in einem ganzheitlichen Ansatz, d.h. im Rahmen eines Spirituell-Bio-Psycho-Sozialen Modells, zu betrachten. Dieser Text wurde unter der Berücksichtigung psychologischer und islamwissenschaftlicher Notwendigkeiten verfasst.

    Aus islamwissenschaftlicher Sicht sind hierbei Theorie und Praxis zusammenzuführen. Die Gelehrten kommen zur Übereinkunft [1], dass, wenn bei jemanden eine Krankheit vorliegt – unabhängig ob psychisch oder körperlich – und man aufgrund dieser Krankheit einen Schaden hat, eine Entbindung vom gebotenem Fasten im Monat Ramaḍān vorliegen kann. Dies ist individuell und von einem vertrauenswürdigen Arzt zu prüfen, der möglichst ein Muslim sein sollte. Die Fiqh-Schulen sagen dies, weil einem muslimischen Arzt die Regeln des Fastens und seiner kulturellen und religiösen Bedeutung und weitreichenden Folgen in der Regel bewusst sind.

    Schaden zu haben bedeutet, a) die Krankheit verschlechtert sich, oder b) bleibt so, oder c) der Heilungsprozess wird verzögert, wenn das Medikament nicht genommen wird [2]. In diesen Fällen darf die Person das Fasten brechen und muss die Tage nachholen. Wenn die Person das Fasten bricht und an einer chronischen Krankheit leidet, also die Heilung nicht in naher Zukunft bzw. innerhalb des nächsten Jahres in Sicht ist, wird die Person behandelt wie alte Menschen, die nicht mehr fasten können. Das heißt, sie soll für jeden nicht gefasteten Tag einen Armen speisen. Das Speisen eines Armen richtet [3] sich nach dem Land, in dem man lebt. Für Deutschland betragen die Kosten für eine Mahlzeit mit Getränk, von der man satt wird, ca. 5 bis 7 Euro. Dieser Betrag wird Fidyah [4] genannt und wird innerhalb des eigenen Landes gespendet oder in einem Land, in dem größere Armut herrscht.

    Wenn das alles auf die Person zutrifft, möge Allāh (ta’ālā) ihm/ihr Heilung schenken und Erleichterung geben, darf die Person das Fasten aussetzen. Wenn der Arzt also der Meinung ist, dass die Person das Medikament nehmen muss, damit er/sie keinen Schaden hat, darf er/sie das Fasten brechen und muss dafür jeden Tag einen Armen speisen.

    Ein Beispiel für dieses Vorgehen findet sich bei Anas bin-mālik, der sehr alt geworden ist und aufgrund seines hohen Alters nicht mehr fasten konnte. Er hat am Anfang des Ramaḍān ein großes Essen zubereitet, 30 Arme versammelt, zum Ifṭār eingeladen und gesagt: „Dies ist mein Ramaḍān!“ [5].

    Bei einer ganzheitlichen Einschätzung sind auch die möglichen positiven neurobiologischen und psychosozialen Folgen des Fastens mit seinem entsprechenden antidepressiven und anxiolytischen (angstlösendem) Potential zu berücksichtigen.

    Fallbeispiel 1

    Ein 30-Jähriger Mann leidet am Tourette-Syndrom mit stark ausgeprägten verbalen und motorischen Tics. Er nimmt daher langjährig Neuroleptika ein. Im Rahmen von Fastenversuchen und der Verschiebung der Medikamenteneinnahme auf den Morgen treten fast immer vermehrt Tics sowie bis zu über eine Stunde andauernde spastische Augenkrämpfe auf.

    Bewertung

    Der Wille und die Absicht zu fasten liegen vor. Aufgrund einer drohenden Verschlechterung durch das Fasten ist der Patient / Klient vom Fastengebot befreit. Aufgrund der Erwartung, dass die Krankheit nächstes Jahr noch in erheblichem Maße vorliegen wird, sollen 30 arme Personen gespeist werden. Es ist zu beachten, dass ein Wechsel der Medikation oder ein veränderter Einnahmezeitpunkt unbedingt ärztlich abgesprochen und geprüft werden muss und nicht eigenständig stattfinden darf.

    Fallbeispiel 2

    Eine 25-Jährige Frau leidet an Anorexie und einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Sie hat zwar den Wunsch zu fasten, ist aber unsicher, ob sie das aufgrund ihrer Essstörung tun soll.

    Bewertung

    Es ist zu prüfen, ob aus medizinischer Sicht für das Fasten genügend körperliche und psychische Fitness vorliegt. Dies sollte bei einer erwachsenen Person mit einem BMI von < 16 aufgrund des hochgradigen Untergewichts routinemäßig und kritisch in Frage gestellt werden6 5. Bei Vorliegen von Fitness ist weiter zu prüfen, ob die in der Therapie gelernten Techniken und Essenspläne auf die veränderten Uhrzeiten im Rahmen des Ramadans angepasst werden können und eine therapiegerechte Kalorienzufuhr gegeben ist. Durch probeweises Vorfasten kann dies auch im Voraus geprüft werden. Mögliche Skills, wie z.B. bei Dissoziationen auf eine Chilischote zu beißen, sollten ebenfalls angepasst werden.

    Jeder Mensch reagiert individuell auf die Fastenzeit. Während einige regenerieren, ruhiger werden und von Gemeinschaftsgefühl und Selbstwirksamkeit profitieren, reagieren andere gestresst und gereizt und überfordern sich. Somit sind Nutzen und Kosten sorgfältig abzuwägen und engmaschig mit den behandelnden und beratenden Ärzten, Psychologen und Geistlichen / Seelsorgern abzusprechen.

    Wenn das Fastengebot nach Prüfung nicht vorliegt, ist eine Einschätzung zu treffen, wann mit einer Besserung zu rechnen ist. Wenn absehbar ist, dass bis zum nächsten Ramadan ein Nachfasten nicht möglich wird, sind entsprechend 30 arme Personen zu speisen.

    Fallbeispiel 3

    Ein 50-Jähriger Mann leidet an einer mittelgradigen Depression und wird medikamentös mit einem Antidepressivum behandelt. Bisher fehlte der Antrieb, sich um einen Therapieplatz zu bemühen. Der Wille zu fasten wird nur vordergründig genannt. Eigentlich falle ihm zur Zeit alles zu schwer. Er äußert zwar lebensmüde Gedanken, kann sich aktuell jedoch glaubhaft davon distanzieren. Er fragt, ob er dieses Jahr fasten müsse, er glaube nicht, dass er es schaffe und durchhalte.

    Bewertung

    Generell liegt zunächst ein Fastengebot vor. Jedoch ist zu beachten, dass drohende Misserfolge (z.B. das Fasten nicht zu schaffen) zu einer Destabilisierung des Klienten und einer Verschlechterung seines Zustandes bis hin zum Suizid führen könnten. Im Rahmen von Vorfastenübungen kann geprüft werden, welches Leistungsniveau vorliegt und wie die Einschätzung des muslimischen Arztes bzw. der nichtmuslimischen Ärzte ist. Ohne begleitende Psychotherapie kann durch ein unbegleitetes Fasten eine psychische Destabilisierung drohen. Individuell ist zu prüfen, ob bis zur Abklingen der depressiven Symptomatik bzw. der lebensmüden Gedanken das Fastengebot ausgesetzt wird und die Fastentage zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden können. Bei dem bestehenden Krankheitsbild und der damit verbundenen Entscheidungsschwäche des Patienten / Klienten ist allerdings eine klare Ansage der beschlossenen Maßnahmen wichtig.


    Wichtiger Hinweis:

    Die besprochenen Hinweise und Fallbeispiele dienen der Orientierung und ersetzen keine individuelle medizinische, psychologische und spirituelle Prüfung und Beratung.


    Für solche und viele weitere Themen ist derzeit das Psychosoziale Zentrum für Muslime in Gründung. Unterstütze dieses Projekts mit einer Spende, um Gutes für das Diesseits und Jenseits zu erlangen und notwendige islampsychologische Projekte zu fördern.

    Wie? Durch Eintragung in den Newsletter für das Psychosoziale Zentrum für Muslime, und indem Du eine E-Mail mit dem Betreff „Newsletter“ an info@islamundpsychologie.de sendest, worauf Du in-schaa-ALLAAH alle wichtigen und relevanten Informationen erhalten wirst.

    Fußnoten

    [1]

    a) „…liefert (euer Selbst) nicht eigenhändig dem Niedergang aus…“ (Al-qurān 2:192)

    b) „…auch begeht keinen Selbstmord!…“ (Al-qurān 4:29)

    c) „Es ist der Monat Ramaḍān, in dem der Qurān hinabgesandt wurde als Rechtleitung für die Menschen und als deutliches Zeichen von der Rechtleitung und den Unterscheidungsrichtlinien. Wer von euch diesen Monat erlebt, so soll er darin fasten! Wer krank oder auf Reisen war, (fastet) an anderen Tagen die gleiche Anzahl. Allāh will für euch Erleichterung; und ER will für euch keine Erschwernis! (ER gebot es euch), damit ihr die Anzahl (der Fastentage) vervollständigt, Allāh mit Takbir für das rühmt, was ER euch an Rechtleitung zukommen ließ, und ihr euch dankbar erweist.“ (Al-qurān 2:185)

    d) Allāh erlegt einer Seele nur das auf, was sie vermag. Ihr gebührt, was sie erworben, und ihr obliegt, was sie sich angeeignet hat. „Unser HERR, belange uns nicht, wenn wir vergessen oder Fehler begangen haben! Unser HERR, erlege uns keine schweren Verpflichtungen auf, wie DU dies denjenigen vor uns auferlegt hast! Unser HERR, und gebiete uns nicht, was wir nicht vermögen, erlasse uns, vergib uns und erbarme Dich unser! DU bist unser HERR, so leiste uns Beistand gegen die leugnenden Leute!“ (Al-qurān 2:286)

    [2] Ibn-nuǧaim: Al-baḥrur-rāiq, Vol. 2, S. 281

    [3] „Die Sitte ist maßgebend“ gemäß der Überlieferung: „Was die Muslime für gut befinden, ist bei ALLAH gut. Und was sie als schlecht bewerten, ist bei Allāh schlecht.“ (Aḥmad ibn-ḥanbal: Musnan Imaam Aḥmad)

    [4] „Es sind abgezählte Tage. Wer jedoch von euch krank oder auf Reisen war, so (holt er nach die) gleiche Anzahl an anderen Tagen. Für diejenigen, denen es schwer fällt, ist dessen Ersatz die Speisung eines Bedürftigen. Wer mehr Gutes freiwillig gibt, so ist dies besser für ihn. Wenn ihr fastet, ist es besser für euch, würdet ihr es nur wis-sen.“ (Al-qurān 2:184)

    [5] Mālik bin-anas: Muwatta´ Imām Mālik, K18, Nr. 657)

    [6] Herpertz, S., Fichter, M., Herpertz-Dahlmann, B., Hilbert, A., Tuschen-Caffier, B., Vocks, S., Zeeck, A. (2018) S3-Leitlinien, Diagnostik und Behandlung der Essstörungen. Springer, Heidelberg.

  • ANMELDUNG geöffnet für RAMADAN PODCASTS 2020

    ANMELDUNG geöffnet für RAMADAN PODCASTS 2020

    ***Hier geht’s zur Anmeldung***

    Problemabriss für die RAMADAN-PODCASTS 2020

    Auch in den neuesten Veröffentlichungen und Konferenzbeiträgen zur islamischen Psychologie (IP) gibt es Unklarheiten hinsichtlich der wissenschaftlichen theologischen Grundannahmen dieser noch jungen Strömung, die spirituelle und religiöse Elemente und Ressourcen aus der islamischen intellektuellen Tradition für ein besseres Verständnis des menschlichen Erlebens und Verhaltens und der Behandlung klinischer Phänomene nutzbar machen möchte.

    Diese Unklarheit ist mitunter darin begründet, dass viele muslimische Psychologen ihre theologischen Kenntnisse informell und nicht auf traditionellen Ausbildungswegen erworben haben und sich meist in Ermangelung ausreichender Arabischkenntnisse der Sekundärliteratur bedienen. Dabei besteht die Gefahr, dass mitunter ideologische Religionsverständnisse auf die zur Theoriebildung herangezogenen klassischen Texte projiziert werden, die so nicht unbedingt von vormodernen Gelehrten formuliert wurden.

    Es werden Texte der IP-Autoren Rasjid Skinner, Abdullah Rothman und Carrie York Al-Karam besprochen. Klassische theologische Arbeiten werden von Abū Ḥamīd al-Ghazālī und Ibn Khaldūn herangezogen.

     

    Ziele

    Anhand einer Reihe von kurzen Podcasts wird die Frage gestellt, ob die Darstellungen vormoderner Konzepte in traditionellen Texten muslimischer Religionsgelehrter mit deren Rezeption in der IP-Literatur übereinstimmen oder ob Diskrepanzen bestehen. Dies ist eine rein theologische und keine wissenschaftstheoretisch fundierte, psychologische Auseinandersetzung.

    Fragestellungen des Podcasts:

    (1) Können psychologische Inhalte aus den islamischen Quellen abgeleitet werden?

    (2) Oder stellt (nur) ein top-down Ansatz, der religiöse und spirituelle Elemente in die Beratung und Therapie integriert, ein sinnvolles Ziel für die IP in Deutschland dar?

     

    Themen

    Podcast 1 (29.04.20): Was ist islamisch? Welchen Platz haben Philosophie und Psychologie in einem traditionellen Diskurs?

    Podcast 2 (06.05.20): In welchen islamischen Bereichen sollten sich muslimische Berater und Therapeuten auskennen?

    Podcast 3 (13.05.20): Konzepte der islamischen Tradition (Seele/rūḥ, Herz/qalb, natürliche Veranlagung/fiṭrah, Sufismus/taṣawwuf)

    Podcast 4 (20.05.20): IP und klassische-islamische Texte: Eine Gegenüberstellung und Zusammenfassung

     

    Format

    Die 40-minütigen Podcasts sind wie folgt aufgebaut:

    (1) 10-minütige Einführung in das Thema

    (2) 10-minütiger Austausch zwischen dem Referenten und Webinarleiter

    (3) 20-minütige Diskussion mit den Teilnehmern

    Referent ist Navid Chizari: Doktorand im Bereich systematische Theologie (kalām) an der Ibn Haldun University in Istanbul

    Webinarleiter ist Paul Kaplick: Klinischer Neuropsychologe in Weiterbildung (GNP), M.Sc. in kognitiven Neurowissenschaften, B.Sc. in Angewandter Psychologie

    Hier ist der Flyer

  • Krankheiten im Zusammenhang des Leib-Seele Problems in der islamischen Theologie

    as-salamu alaikum!

    Auf dem Youtube Kanal der IASE ist nun auch der Workshop „Krankheiten im Zusammenhang des Leib-Seele Problems in der islamischen Theologie“ von Navid Chizari hochgeladen.

    Navid Chizari, Doktorant der islamischen Theologie an der Ibn Haldun Universität in Istanbul, behandelt in diesem Workshop fünf verschiedene Texte, um Klarheit in Bezug auf den Themenkomplex „Islam und Psychologie“ zu schaffen. Zum Schluss gibt er wichtige Empfehlungen, die er durch Auseinandersetzung mit der Literatur herausgearbeitet hat.

    Bei den fünf Texten handelt es sich um die Folgenden:

    1. Islamic Model of the Soul (A. Rothman)

    2. Al-Faruqi: Islamization of Knowledge (J. L. Esposito & J. Voll)

    3. Islamisierung des Islams (T. Bauer)

    4. Nützliches & schädliches beim Wissen (al-Ghazali)

    5. Einflüsse auf die Entwicklung des Menschen (Ibn Khaldun)

    Viele Grüße und salam,

    Euer IASE Team

  • Neues Video auf dem IASE Youtube Kanal

    As-salamu alaikum!

    Wir möchten Euch gerne auf ein neues Video auf unserem Youtube Kanal aufmerksam machen. In diesem Video wird eine kritische Diskussion um die Grundzüge einer spirituell integrierten Psychotherapie in einem islamischen Kontext für Studenten der islamischen Theologie geführt.

    Lernt mehr über Amin Loucifs Aktivitäten und abonniert seinen Podcast!

    Viele Grüße und salams,

    Eure IASE

  • Blogreihe: Institute und Vereinigungen muslimischer Psychologen – Woche 9

    Im letzten Beitrag dieser Blogreihe möchten wir die Situation der Netzwerke muslimischer Psychologen in Deutschland reflektieren.

    In den späten 1980er und den 1990er Jahren wurde viel Arbeit zur psychosozialen Versorgung von Muslimen und mitunter zur Entwicklung eines Muslim Mental Health-Ansatzes geleistet (z. B. Gründung der Islamischen Arbeitsgemeinschaft für Sozial- und Erziehungsberufe, IASE e. V. 1988). Neuerlich scheint die Arbeit zum Muslim Mental Health-Ansatz, aber auch zu Islam und Psychologie wieder verstärkt an Interesse zu gewinnen. Dies ist ebenfalls bemerkbar durch die letzten zwei Fachtagungen der IASE 2015, welche durch die Initiative einer neuen Generation muslimischer Psychologen/Psychologiestudenten und Sozialarbeiter wieder stattfanden. Insbesondere auf der ersten Fachtagung wurde das starke Interesse der neuen Generation an Islam und Psychologie deutlich, welches nach unserer Einschätzung über den klinischen Anwendungsbereich hinaus Rezeption finden muss. Weiterhin besteht auch zum Zwecke der Theoriearbeit ein großes Bedürfnis nach Vernetzungsarbeit.

    Die Situation in Deutschland scheint sowohl in Bezug auf die Etablierung des Muslim Mental Health-Ansatzes (25-jährige praktische Erfahrung) als auch die Nachfrage und das zunehmende Interesse an Theorien und Konzepten von Islam und Psychologie Gemeinsamkeiten mit den Entwicklungen in Großbritannien und Amerika aufzuweisen. Dennoch befinden sich deutsche muslimische Psychologen vor allem auf der Ebene der theoretischen Durchdringung noch nicht auf dem britischen oder amerikanischen Entwicklungsstand. Die geringe Zahl der deutschen theoretisch-konzeptionellen Publikationen zu Islam und Psychologie und nur vereinzelt vorhandenen institutionellen Strukturen machen das deutlich.

    In der gegenwärtigen Situation erscheint es dagegen als wenig hilfreich, eine neue Instanz speziell für islamisch-orientierte Psychologen ins Leben zu rufen. In Hinblick auf die wenigen Fachkräfte wäre eine weitere Aufgliederung kontraproduktiv. Auch sind die Beiträge anderer Berufsgruppen im Kontext klinischer Konzepte zu wichtig. So fehlt einer derartigen Vereinigung noch das theoretische Gebilde, dessen Repräsentation eine Schlüsselfunktion sein sollte (vgl. Association of Islamicallyoriented psychological therapists, AIOPT). Eine signifikante Rolle sollte dabei auch der Einbindung der islamischen Theologie zukommen. Des Weiteren können das RAMSA Netzwerk für muslimische PsychologInnen und das Netzwerk muslimischer Sozialarbeiter (Nemus) eine Rolle in der Netzwerkarbeit und bei Kollaborationen für Forschungsprojekte spielen.

    Deutsche muslimische Psychologen können bei der Weiterentwicklung des theoretischen Verständnisses von Islam und Psychologie auf einer institutionell- strukturellen Ebene sehr von den Erfahrungen britischer und amerikanischer Kollegen profitieren. Dabei ist diese Arbeit ein erster Versuch, neben Gründen der internationalen Vernetzung und der Bekanntmachung britischer und amerikanischer Strukturen im deutschsprachigen Raum eine Grundlage für die kontinuierliche Entwicklung und Reflexion deutscher Strukturen zu schaffen und die Weiterentwicklung des theoretischen Verständnisses von Islam und Psychologie voranzubringen. Diese erste Einschätzung der deutschen Strukturen gibt eine Vorstellung davon, welche wichtigen Schritte in den letzten 25 Jahren in Deutschland getan wurden, aber auch, welche Entwicklungen in Zukunft zur Unterstützung der Theorieentwicklung initiiert werden könnten. Die Bedeutung grundlegender Theoriearbeit und die Gestaltung von nationalen und regionalen Zusammenschlüssen aus den existierenden Strukturen, zählen zu den wichtigsten Ansatzpunkten.

    Quelle der Originalveröffentlichung (siehe auch für Quellennachweise):

    Kaplick, P. M., & Rüschoff, I. (2018). Islam und Psychologie in Großbritannien, den USA und Deutschland. Wege zum Menschen70(1), 78-88. doi:10.13109/weme.2018.70.1.78