Das islamische psychiatrische Krankenhaus

Die Antwort auf die Frage, wie viel wir über die psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Ideengeschichte muslimischer Gelehrter wissen, ist kurz und prägnant: noch nicht viel. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Prozentsatz bisher nicht gesichteter Arbeiten muslimischer Gelehrter zur Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie auf über 90% geschätzt wird. Berichte über die Beiträge der einzelnen Gelehrten sind teilweise noch sehr anekdotisch gehalten, nur wenige wie al-Balchī oder al-Ghazālī wurden einer ausführlicheren psychologischen Rezeption unterzogen und haben transhistorische Ergebnisse zu Tage befördert.

Es kann eine Verdichtung von Arbeiten muslimischer Gelehrter im 9. und 10. Jahrhundert im heutigen Iran und Afghanistan festgestellt werden, während Texte im 11., 12. und 13. Jahrhundert vermehrt aus dem muslimischen Spanien kamen. Ein Blick auf die Werke muslimischer Gelehrter kann uns dabei helfen, unsere eigene wissenschaftliche Historie als Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiater besser zu verstehen. Zukünftig gilt es außerdem zu klären, ob und inwieweit uns die Texte muslimischer Gelehrter dabei helfen können, Lösungen für die Probleme und Fragestellungen der gegenwärtigen Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie zu finden bzw. diese aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Einen interessanten Bereich dafür stellt z.B. die Rolle der Spiritualität in der Psychologie und Therapie oder die Klassifikation von Störungsbildern, welche im Kontext des kürzlich vorgeschlagenen RDoC-Systems weiter an Aktualität gewinnt, dar.

Jenseits der theoretischen Durchdringung der Texte früher muslimischer Gelehrter lohnt sich auch ein Blick auf deren Behandlungspraxis, dies insbesondere in Hinblick auf Krankenhausstrukturen, somatische Therapien und die Psychotherapie. Bezüglich der Krankenhausstrukturen lässt sich die institutionelle Unterbringung psychischer Kranker in zwei Bereiche aufgliedern: Nervenheilanstalten (insane asylums) und psychiatrische Krankenhäuser (psychiatric hospitals). Während Erstere aus guten Gründen in der modernen Medizin nicht mehr anzutreffen sind, können wir historisch festhalten, dass die ersten psychiatrischen Krankenhäuser im 8. Jahrhundert durch muslimische Ärzte gegründet wurden. Dies wurde explizit durch die muslimischen Gesellschaften der Zeit gefördert. Als spezialisierte Institutionen beheimateten psychiatrische Abteilungen und Krankenhäuser Forschung zu psychiatrischen Krankheiten, die direkt in die Klinik übersetzt werden konnte, inspiriert durch den qur’anischen Vers: „Und gebt nicht den Schwachsinnigen euer Gut, das Allah euch zum Unterhalt gegeben hat. Versorgt sie davon und kleidet sie und sprecht zu ihnen mit freundlichen Worten“ (Qur’an, 4:5) (Awaad et al., 2019).

Die Gründung des ersten islamischen, psychiatrischen Krankenhauses – des Bimaristan – wurde ebenfalls in Bagdad im 9. Jahrhundert durch den abbasidischen Kalifen Harun al-Rashid vollzogen (Al-Issa, 2000; Khaleel, 2003). Dieses hat nicht nur im Rahmen der Inklusion von psychisch Kranken Geschichte geschrieben, sondern auch das Konzept des psychiatrischen Milieus geprägt: Patienten wurden mit sauberer Kleidung, täglichem Bad, sinnvoller Alltagsgestaltung und gesunder Ernährung versorgt (Awaad & Ali, 2015). Es kamen innovative musik- und massagetherapeutische Ansätze zum Einsatz, die die medizinische und psychotherapeutische Behandlung komplementierten – eingebettet in eine interdisziplinäre Behandlung durch Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Seelsorger und Pharmazeuten, die den gesamten Patienten und nicht nur die Krankheit behandelten. Weiterhin wurde darauf Wert gelegt, dass die Krankenhäuser im Herzen der Städte lagen, um die Krankenbesuche zu erleichtern. Die Behandlungskosten wurden dabei vollständig durch das islamische Spendensystem (Zakat) organisiert (Awaad et al., 2018).

Krankenhäuser nach diesem Vorbild fanden sich ebenfalls in Damaskus, Alexandria und Kairo (Youssef & Youssef, 1996). Das Qalawun Hospital in Kairo zum Beispiel wurde um 1280 eröffnet und war Teil eines größeren Komplexes, der eine Schule, ein Krankenhaus und ein Mausoleum umfasste (Torkey, 2018). Die Idee der Inklusion psychisch kranker Menschen wurde sowohl durch die psychiatrischen Abteilungen in größeren Krankenhäusern als auch eigenständige psychiatrische Krankenhäuser, die Teil eines größeren Gebäudekomplexes waren, vorangetrieben. Dies wirkte Vorstellungen von Besessenheit und der Dämonisierung psychischer Krankheiten entgegen – Vorstellungen, die wir auch heute noch in einer Vielzahl in der muslimischen Community antreffen (Awaad et al., 2018).

Ein weiteres Merkmal islamischer Krankenhäuser dieser Zeit war, dass Patienten einen Murafiqeen zur Seite gestellt bekamen. So wurde ein „Gefährte“ eines Patienten genannt, der diesen während der Behandlungsphase begleitete und in Fragen der Hygiene, des Essens und des emotionalen Beistands stets zur Seite stand. Dieses Konzept ist in der Idee begründet, dass menschliche Interaktion für eine effektive Behandlung unabdingbar ist. Die Murafiqeen fungierten nicht als Betreuer, sondern explizit als Fürsorger eines Patienten. Murafiqeen wurden weiterhin ergänzt durch Geschichtenerzähler und Musiker, deren Aktivitäten an und für sich therapeutisch waren,eine angenehme Umgebung schufen und die frühen Stadien der modernen Musik und Psychotherapie darstellen (Awaad et al., 2018).

Referenzen:

Awaad, R., & Ali, S. (2015). Obsessional Disorders in al-Balkhi′s 9th century treatise: Sustenance of the Body and Soul. Journal of Affective Disorders180, 185-189. doi:10.1016/j.jad.2015.03.003

Awaad, R., Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., & Gamar, M. (2019). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry. In H. S. Moffic, J. Peteet, A. Z. Hankir, & R. Awaad (Eds.), Islamophobia and Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (pp. 3-18). Basingstoke, England: Springer.

Al-Issa, I. (Ed.). (2000). Al-Junūn: Mental illness in the Islamic world. Madison, CT, US: International Universities Press, Inc.

Khaleel, K. (2003). Science in the name of God: How men of God originated the sciences. Buffalo Grove, IL: Knowledge House.

Youssef, H. A., & Youssef, F. A. (1996). Evidence for the existence of schizophrenia in medieval Islamic society. History of Psychiatry.

Torky, T. (2018). Complex of Sultan al-Mansur Qalawun (Mausoleum, Madrasa and Hospital). Web: Discover Islamic Art.