Aus der Schatzkiste. Die Wenigsten wissen, dass die IASE seit den 1980er Jahren existiert. Wir haben alte Tagungsbeiträge ausgesucht, um sie wöchentlich hier zu posten. Viel Vergnügen beim Lesen.


Wie gehen die Moscheen mit dem Thema Gewalt um?

Celal Özcan

Obwohl mich dieses Thema sehr interessiert, habe ich dennoch nicht viel in der Literatur dazu gefun­den, da es wohl eher ein praktisches Problem ist.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Islam und Gewalt? Hierzu zitiere ich den bekannten Koranvers: „Es gibt keinen Zwang in der Religion“. Wie dieser Vers zeigt, darf keine Gewalt ange­wendet werden, jeder ist frei, er ist vor Gott frei, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.

Nun zu dem Begriff „Islam“: Der Begriff kommt von der Wortwurzel „Salam“, was Friede bedeutet. Wie kann es Gewalt in einer Religion geben, deren Name „Friede“ bedeutet? Theoretisch mag das klar sein, doch in der Praxis haben sich Muslime zu oft nicht an die Vorschriften der Religion gehalten. Das wird bei einem Blick in die heutige islamische Welt schnell klar. Wir Muslime haben angefangen, so zu glauben wie wir leben, obwohl es eigentlich anders sein müßte: wir müßten so leben wie wir glauben.

In den 70er Jahren gab es einen schwarzamerikanischen Führer, Malcolm X. Er sagte in einer Veran­staltung: „Preis sei Allah, dass ich Muslim geworden bin, bevor ich die Muslime kennengelernt habe.“ Eine ähnliche Aussage machte Yusuf Islam, auch als Cat Stevens bekannt. Vielleicht wären sie keine Muslime geworden, wenn sie uns erlebt hätten, sie haben jedoch nach den Quellen geforscht und den wahren Islam kennengelernt.

Die heutige Situation der Muslime und die Tatsache, dass sie Gewalt benutzen, ist historisch zu verste­hen: Durch die Kolonialisierung der meisten islamischen Länder nach dem ersten Weltkrieg hatten die Muslime kaum Gelegenheit, ihre Religion weiter zu studieren und zu lehren, wodurch viele lebens-praktische Dinge wie das islamische Verhalten gegenüber ihren Kindern oder den Nachbarn usw. zu­nehmend in Vergessenheit gerieten. Dazu kam, dass aus den Reihen der Muslime selbst Probleme ent­standen. So führte z.B. Atatürk eine Art Revolution durch: unter anderen Neuerungen, die gegen den Islam gerichtet waren, führte er die lateinische Schrift ein und machte damit über Nacht Millionen zu Analphabeten.

Auch heute wird in den islamischen Ländern Gewalt angewendet, um die Muslime von ihrer Religion abzubringen. In der Türkei z.B. dürfen keine muslimischen Frauen mit Kopftuch studieren. Das gilt ebenso für Männer mit Bart. So haben bei genauerer Betrachtung die Muslime dort nur eingeschränkte Chancen, den Islam richtig und umfassend zu lernen und zu leben, so dass sich ein großer Teil unseres Volkes in der Religion nicht auskennt. Sie kennen oft nur die Schahada, wissen, dass man fünfmal am Tag betet, die Hadsch macht und Zakat zahlt. Und wer das nicht tut, kommt in die Hölle. Doch alles andere, was man normalerweise als Muslim ebenfalls wissen muß, kennen sie nicht oder haben es vergessen.

Weiterhin ist die wirtschaftliche Lage der muslimischen Länder im Zusammenhang mit Gewalt zu nennen. Zum Unterhalt der Familie ist harte Arbeit notwendig. Ich habe in Ägypten einen Rechtsan­walt kennengelernt, der zusätzlich nachmittags arbeiten mußte um seine Familie zu ernähren.

Viele Menschen glauben und praktizieren den Islam streng, auch wenn sie nicht viel darüber wissen. Das, was sie nicht gelernt haben, können sie natürlich auch nicht an die nachfolgenden Generationen weitergeben. Nun möchten sie ihren Kindern aber etwas vom Islam zukommen lassen. Sie können sie entweder in die Moschee zum Unterricht schicken oder sie zur Befolgung der Religion zwingen, also Gewalt anwenden. Deutlich wird das beim Kopftuch, für dessen Notwendigkeit keine Begründungen angegeben werden können, sondern einfach Zwang ausgeübt wird. Die Menschen haben keine Mög­lichkeit, die Tochter mit Argumenten von der Notwendigkeit zu überzeugen und sie selbst zu diesem Schluß gelangen zu lassen. So begünstigt also fehlendes Wissen über die Religion die Anwendung von Zwang und Gewalt.

Gewalt in den Moscheen

Durch den bedauerlichen Zeitmangel in den Familien besteht oft nur eine geringe Möglichkeit, die Kinder dort zu unterrichten. Nach der Schule müssen Hausaufgaben gemacht werden, dann gibt es ein wenig Fernsehen, dann geht es ins Bett.

Die Kinder stehen zwischen zwei Kulturen und verhalten sich oft anders als ihre Umgebung. Wenn sie in die Moschee gehen wie in die Schule, ist der Lehrer beunruhigt, da er eine gewisse Disziplin benö­tigt, damit die Kinder etwas lernen. Dann wird er auch eher Gewalt anwenden, weil er sie nicht anders zur Ruhe bringen kann. Ich selbst habe als Kind in der Moschee oft Schläge bekommen.

Was kann ich als Hodscha tun, um Gewalt in der Moschee zu verhindern?

  1. In der IGMG versuchen wir besonders junge Hodschas anzustellen, die noch voller Energie sind und noch mehr Geduld haben. Ältere Hodschas, die ihre Jugend und damit auch ihre Schulerfahrung in der Türkei verbracht haben, tun sich damit gegenüber Kindern schwer, die hier in Europa aufge­wachsen sind. Ich selbst verstehe die Hodschas zwar, versuche jedoch, sie von einigen Verhaltenswei­en abzubringen.
  2. Die Hodschas der IGMG kommen wenigstens einmal im Monat zusammen und diskutieren über wichtige Aspekte ihrer Tätigkeit. So haben wir bei unserer letzten Versammlung mit ca. 30 Kollegen über das Thema Gewalt gesprochen.
  3. Wir haben nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Kinder in kleine Klassen oder Gruppen einzutei­len. Manchmal kommen 60-70 Kinder zum Unterricht. Wie soll ein Hodscha alle unterrichten? Mit einer strammen Disziplin wäre das vielleicht möglich. Daher versuchen wir, die Zahl der Kinder in den einzelnen Räumen zu verringern.
  4. Kinder werden nach Mtersgruppen eingeteilt. Praktisch bedeutet das für mich drei mal zwei Stun­den Unterricht für 60 Kinder in drei Klassen à 20 Kinder. Ich verbringe so den ganzen Tag mit ihnen. Die Unterrichtsdauer ist festgelegt und begrenzt, um die Kinder nicht zu überfordern. Eine Stunde dauert 45 Minuten, danach kommt eine Pause, dann folgt eine weitere Stunde.

Ich versuche, mich mit den Kindern anzufreunden, mit ihnen kindgerecht umzugehen, damit sie keine Angst vor mir haben. Auch darf man nicht alles sehen, was die Kinder anstellen, das schont die Ner­ven. Manche Hodschas stehen allerdings mit einem Stock in der Hand in der Kiasse und schlagen an irgendeinem Punkt der Unruhe ein bestimmtes Kind, damit alle ruhig werden.

  1. Weiterhin versuchen wir die Kinder für gute Leistungen zu belohnen. Das steigert das Interesse der

Kinder erheblich, zumal wir keine Möglichkeiten von Zeugnissen, Versetzungen oder Klassenwieder­holungen haben.

  1. Auch versuchen wir, mit den Eltern zusammenzuarbeiten.

Frage:

Wie gehen Moscheen mit dem Thema Gewalt um, das von Einzelnen an sie heran getragen wird. Werden sie irgendwo hingeschickt (Fachleute), sprechen die Hodschas selber mit ihnen usw.?

Antwort:

Ehepaare, einzeln oder zusammen, kommen nicht oft in die Moschee um mit dem Hodscha ihre Pro­bleme zu besprechen. Ein Grund dafür ist die islamische Haltung, dass man nicht über andere reden soll. Das wird in unserer Gemeinschaft leider oft zu wenig berücksichtigt. Dennoch bemühen wir uns natürlich, zu helfen. So hatte ich im vorigen Jahr einen jungen Mann, der aus der Türkei gekommen war und mit seiner Frau Probleme hatte, die hier in Deutschland groß geworden war. Der Mann hoffte, eine traditionelle Frau zu finden, die Frau erwartete ein Verhalten wie bei deutschen Männern.

Ich habe mich dergestalt verhalten, dass ich mit dem jungen Mann gesprochen und meine Frau zu sei­ner Frau geschickt habe. Wir versuchen, den beiden zu erklären, wie Allah und der Islam die Angele­genheit sehen und wie sie sich gegenüber dem jeweils anderen verhalten sollen.

Zwischenbemerkung einer Teilnehmerin:

In Aachen kann man den Imam anonym anrufen und sein Problem schildern, auf das er dann ebenso anonym in der nächsten Chutba eingeht.

Antwort:

In der Chutba gehe ich anonym auf diese Dinge ein, die mir vorgetragen wurden. Unabhängig davon versuche ich mindestens einmal im Monat das islamisch korrekte Verhalten in der Familie zum Thema der Chutba zu machen.

Ähnlich verfahren wir im Falle von Problemen mit den Kindern. Wenn wir allein nicht weitet kom­men, haben wir in Dortmund einen psychologischen Berater, einen Türken, wohin wir dann die Men­schen schicken.