Lerntheoretische Prinzipien, kognitive Strategien in der Behandlung der Depression

Die Blütezeit des Islam (7.-13. Jahrhundert) ist bekannt für ihre wissenschaftliche Produktivität, die unter anderem durch religiöse, politische und sozioökonomische Bedingungen befördert wurde. Die Texte früherer muslimischer Gelehrter bieten dabei eine Gelegenheit, sich mit dem historischen Verständnis psychischer Gesundheit und der Klassifikation psychischer Störungen im Islam auseinanderzusetzen (Mohammad et al., 2018). Muslimische Gelehrte haben psychologische Themen im Rahmen von vier inhaltlichen Kategorien besprochen: psycho-philosophisch, -spirituell, -medizinisch und -präventiv (Awaad, 2018).

In der psycho-philosophischen Kategorie finden sich Schriften zur Natur der Seele, verschiedenen Konzeptualisierungen des Verstands und seiner mentalen und kognitiven Domänen, Trauminterpretation und die Diskussion von Konzepten wie der Glückseligkeit. Die wichtigsten Autoren in dieser Kategorie sind Ibn Rushd (Averroes) (Blogbeitrag 13), Ibn Sīnā (Avicenna) (Blogbeitrag 9), al-Fārābī (Blogbeitrag 6), al-Kindī (in diesem Blogbeitrag) und Ibn Miskawayh (Blogbeitrag 8). All diese Gelehrte werden wir im Verlauf dieser Blogreihe näher beleuchten und wir werden entdecken, dass ihre Texte zwar stark von der griechischen Philosophie beeinflusst waren, jedoch auch genuine Beiträge und Ansichten weitläufig zu finden sind.

Schriften in der psycho-medizinischen Kategorie haben die medizinischen Fakultäten in Europe für viele Jahrhunderte begleitet. Ibn Sīnās Kanon der Medizin und al-Razis Umfassendes Buch der Medizin sind zwei wichtige Beispiele für medizinische Enzyklopädien, die sich im Rahmen von Krankheiten des Gehirns intensiv mit psychotischen Störungen, ihrer Symptome, Ätiologien und Behandlungen auseinandergesetzt haben. In den medizinischen Werken haben Gelehrte angenommen, dass psychotische Krankheitsformen organische Ursachen haben (vgl. Körpersäfte oder Veränderungen der Temperamente), daher wurden somatische Behandlungen verschrieben (Kräuter, Sirupe, physische Interventionen).

Die psycho-spirituelle Kategorie behandelte vor allem die Rolle des Herzens, der Seele und des Geistes in Moral, Spiritualität und Ethik. Gelehrte wie al-Ghazālī (Blogbeitrag 10), al-Muhasibi, al-Balchī (Blogbeitrag 4) und Ibn Hazm sind gesondert hervorzuheben – diese haben sich zu verschiedensten spirituellen, moralischen und emotionalen Krankheiten geäußert. Heute als neurotisch bezeichnete Krankheiten wie Depression, Angst, Phobien oder Zwänge wurden als Teil dieser ethischen und spirituellen Kategorie eingeordnet und die Betonung galt den kognitiven und verhaltensorientierten Behandlungsformen (Mohammad et al., 2018).

Einer der bedeutendsten muslimischen Gelehrten aus der Blütezeit des Islams ist Abū Yaʿqūb ibn Ishāq al-Kindī (Alchindus). Er lebte von 801 bis in die frühen 870er Jahre im Gebiet des heutigen Iraks (geb. in Basra und lehrte in Bagdad). Seine für die Psychologie relevanten Werke umfassen Über Schlaf und Träume, Die erste Philosophie, Über den Intellekt, Diskurs über die Seele, Dass es immaterielle Substanzen gibt und Beseitigung der Trauer (Haque, 2004; Husain, 2017; Vahab, 1996). Seine Schriften basierten maßgeblich auf aristotelischem, platonischem und neuplatonischem Gedankengut (Nasr & Leaman, 2001), was nicht verwunderlich ist, da al-Kindī auch für seine rege Übersetzungstätigkeit bekannt ist (Mohammad et al., 2018). Bezüglich psychologischer Ideen und Theorien widmete sich al-Kindī insbesondere der Ontologie der Seele und des Intellekts und vertrat eine dualistische Position, dass die Seele eine immaterielle, spirituelle Substanz sei. Darüber hinaus betonte er den freien Willen des Menschen (Haque, 2004; Majeed & Jabir, 2017). al-Kindī wandte sich auch lerntheoretischen Prinzipien zu und regte an, dass Verhalten graduell gelernt werden sollte. Hinsichtlich der psychologischen Behandlungspraxis äußerte er sich zur Verwendung kognitiver Strategien zur Behandlung der Depression und setzte sich mit Träumen auseinander (Mohammad et al., 2018). Quasem (1981) beschreibt außerdem, dass al-Kindī als erster Gelehrter auf psychologische Konzepte in der Formulierung seiner philosophischen Ethik zurückgriff.

Referenzen:

Awaad, R. (2018, October). Historical Perspectives and Modern Clinical Implications for the development of Islamic Psychology. Paper presented at the conference of the International Association of Islamic Psychology, Istanbul, Turkey.

Mohammad, A., Elzamzamy, K., Fereydooni, S., Gamar, M., & Awaad, R. (2018). Mental Health in the Islamic Golden Era: The Historical Roots of Modern Psychiatry, in H. S. Moffic,, J. Peteet, A. Hankir, R. Awaad, Islamophobia & Psychiatry: Recognition, Prevention, and Treatment (in press).

Haque, A. (2004). Psychology from Islamic Perspective: Contributions of Early Muslim Scholars and Challenges to Contemporary Muslim Psychologists. Journal of Religion and Health, 43(4), 357-377. doi:10.1007/s10943-004-4302-z

Husain, A. (2017). Contributions of Arab Muslim Scholars to Psychology. In A. Husain (Ed.), Contemporary Trends in Islamic Psychology (pp. 13-25). Hyderabad, Indien: Centre for Study and Research.

Majeed, A. & Jabir, K. P. (2017). The Contribution of Muslims and Islamic Concepts: Rethinking and Establishing the Actual Origin of Concepts and Thought in Psychology. The International Journal of Indian Psychology4(2), 68-77.

Nasr, S. H. & Leaman, O. (2001). History of Islamic philosophy (3rd ed.). London, New York: Routledge.

Quasem, M. A. (1981). Psychology in Islamic ethics. The Muslim World71(3-4), 213-227.

Vahab, A. A. (1996). Section I: An Introduction to Islamic Psychology. In An Introduction to Islamic Psychology. New Delhi: Institute of Objective Studies.